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Wie die Welt endet: Roman (German Edition)

Wie die Welt endet: Roman (German Edition)

Titel: Wie die Welt endet: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will McIntosh
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zu gefährlich. Da mache ich lieber was in Southside.«
    » Mmm«, sagte ich. Falls sie gemerkt hatte, dass die Frage ein Köder sein sollte, biss sie jedenfalls nicht an.
    » Sie sollten mal nach Southside kommen«, sagte sie. Sie zuckte die Schulter mit dem vorwitzigen BH -Träger.
    » Wo sollte ich denn hingehen, falls ich mal nach Southside komme?«
    Sie lächelte. » Im Snowstorm ist es toll.«
    » Sind Sie denn vielleicht am Samstagabend im Snowstorm?«
    » Kann sein«, antwortete sie, während sie sich ihre Tasche über die Schulter hängte. Sie winkte, zwinkerte mir zu und ging zur Tür. Ich war beeindruckt– kaum jemand kann zwinkern, ohne dass es falsch und gekünstelt wirkt, aber ihr gelang es.
    Mein neunzehnjähriger Chef erschien draußen auf dem Gehsteig, und in der Tür begegnete er ihr. Ich hatte ganz vergessen, sie nach ihrem Namen zu fragen.
    » Hallo, hallo.« Ruplu grinste, als er zu mir an die Kasse trat. » Alles gut?«
    Ich nickte.
    » Schön. Heute ist Zahltag. Wie viele Stunden hast du diese Woche gearbeitet?« Er öffnete die Kasse.
    Ich brauchte Ruplu nie an den Zahltag zu erinnern. » Vierundvierzig«, sagte ich. Er zählte zweihundertzweiundvierzig Dollar auf die Kassentheke. Ich staunte immer wieder, wie sehr dieser Mann mir vertraute. Geradezu leichtsinnig. Viele Menschen hielten sich für leichtsinnig– schnelle Autofahrer, Kickboxer– aber darauf zu vertrauen, dass ein Fremder einem ehrlich sagte, wieviele Stunden er gearbeitet hat, das war echter Leichtsinn, wofür ich Ruplu bewunderte.
    Ich verabschiedete mich mit einem Namaste, und mit den Tränen kämpfend stopfte ich die Scheine in meine Tasche. Ich heulte oft am Zahltag. Als Ruplu mir zum ersten Mal den Lohn abgezählt hatte, hatte ich geplärrt wie ein Baby. Ein Job! Meine Eltern wären stolz auf mich gewesen, auch wenn ich bei diesem Job den Fußboden aufwischte und Sardinendosen stapelte.
    Nach dem Tod meiner Eltern hatte ich gewusst, dass ich sie furchtbar vermissen würde, aber mir war nicht klar gewesen, wieso sie mir fehlen würden. Immer wenn etwas Interessantes passiert war, hatte ich sofort daran gedacht, meine Familie in Arizona anzurufen und ihnen alles zu berichten. So hatten meine Eltern stets an meinem Werdegang teilgenommen. An jenem Tag vor drei Jahren, als meine Schwester anrief und mir sagte, sie seien bei Wasseraufständen ums Leben gekommen, war mir, als würde mein drittes Auge geschlossen– als würde von nun an niemand mehr hinter mir stehen und mir den Rücken freihalten.
    Die Straße roch feucht und ein wenig nach Fäkalien, denn es hatte geregnet. Nasse, missmutige Obdachlose kampierten auf den Bürgersteigen. Savannah besaß eine magnetische Anziehungskraft, Menschen aus Kleinstädten kamen mit schmutzigen Decken und Bündeln hierher, in die sie alles hineingepackt hatten, was sie tragen konnten. Ich war erleichtert, dass ich nicht mehr zu ihnen gehörte, dass ich gelegentlich baden konnte, wenn auch in kaltem Wasser, und dass ich Kleidung zum Wechseln hatte, selbst wenn sie von der Heilsarmee stammte. Es war schön, immerhin so viel Boden unter den Füßen zu haben, dass eine Frau mit einer beruflichen Perspektive vielleicht mit mir ausgehen wollte.
    Ich überquerte den Chippewa Square, das Zentrum meines derzeitigen Universums, und ging am Denkmal von General Oglethorpe, dem Gründer der Stadt Savannah, vorbei. Ein kleiner Junge hüpfte über den Betonstreifen am Sockel der Statue und kickte spielerisch Müll vor sich her. Kinder machten mich nervös– ich wusste einfach nicht, was ich mit ihnen reden sollte, und verstand ihre Sprache nicht.
    In Savannah gibt es vierundzwanzig Plätze, und die meisten liegen im Schatten großer Lebenseichen, von deren Ästen Spanisches Moos herabhängt. Doch der Chippewa Square war für mich immer etwas Besonderes gewesen. Ich setzte mich kurz auf die Bank, auf der meine Eltern sich vor dreißig Jahren verlobt hatten. Mit diesem kleinen Ritual hatte ich an dem Tag begonnen, als ich von ihrem Tod erfahren hatte. Durch die Äste der riesigen Lebenseichen, die den Platz beschirmten, drang nur ab und zu ein Strahl Sonnenlicht.
    Eine Taube kam hoffnungsvoll angetrippelt, so als würde ich vielleicht eine Tüte mit Brotkrumen aus der Tasche ziehen. Wann hatte zum letzten Mal irgendjemand Tauben gefüttert? Wie kam es, dass die Vögel sich noch daran erinnerten? Nach einem Weilchen spazierte der Vogel weiter und pickte an Kieselsteinen und Eisstielen herum.
    Ich stand

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