Wie die Welt endet: Roman (German Edition)
auf, ließ meine Hand aber noch einen Moment auf dem rauen Holz der Bank ruhen. Zeit, nach Hause zu gehen. Ich verließ den Platz auf der anderen Seite, überquerte die Straße und ging die Bull Street entlang.
Alle Häuser unseres Wohnblocks waren baufällig, aber das Gebäude, in dem unsere Wohnung sich befand, schoss den Vogel ab. Der hellgrüne Putz an der East Jones Nummer fünf hatte stellenweise Risse, sodass die Ziegelmauer darunter zum Vorschein kam. Unser schmiedeeiserner Zaun war nicht so verschnörkelt wie die meisten in der Nachbarschaft, außerdem stand er an einer Ecke so schräg, als würde er gleich umkippen. Eine kleine Tafel am Haus besagte, dass es im Jahre 1850 erbaut worden war. Ein anderes nettes Detail war das vergilbte Schild der Nachbarschaftshilfe in einem der Erdgeschossfenster, das die Silhouette eines Einbrechers mit hochgeschlagenem Mantelkragen zeigte.
Die Fliegengittertür quietschte, als ich sie aufschob. Colin saß im Wohnzimmer. » Das Virus breitet sich aus«, sagte er und deutete auf das Fernsehgerät.
Als hätte Polio-X nicht schon gereicht, gab es jetzt auch noch ein fleischfressendes Virus, vor dem man sich in Acht nehmen musste. In den Nachrichten wurden kurze Filme über die Opfer gezeigt, und die Krankheit schien ganz schön unangenehm zu sein. Die einzige Behandlungsmöglichkeit bestand darin, infizierte Bereiche herauszuschneiden, was sich auch nicht viel besser anhörte.
» Wenn sie die Verbrecher, die solche Viren aussetzen, jemals fangen, dann sollte man sie von Brauereipferden in den Arsch ficken lassen, vor laufenden Kameras.« Colin blieb todernst, während er das sagte.
» Gibt’s was Neues?«, fragte Jeannie, die gerade aus dem Schlafzimmer der beiden kam. Sie starrte auf den Bildschirm des alten 2-D-Gerätes. Eine unserer ersten Anschaffungen, nachdem wir genug Geld für die Miete beiseitegelegt hatten.
Colin stellte es leiser. » Bloß, dass das Virus nicht durch die Luft übertragen wird, Masken helfen also nicht, und man soll sich öfter die Hände waschen«, antwortete er.
» Nichts Neues über Großbritannien und Russland?«, fragte ich ihn.
» Nein. Nur über das Virus.«
Im letzten Herbst waren die Passatwinde ausgeblieben, und seitdem sanken in Großbritannien die Temperaturen. Das Land reagierte daher nicht gerade erfreut auf Russlands Entscheidung, alle Erdgasexporte in andere Staaten bis auf Weiteres auszusetzen. Großbritanniens Marine kreuzte vor der russischen Küste, und es hatte einige kleinere Scharmützel gegeben. In einem Krieg gegen Russland hätte Großbritannien ohne Verbündete nicht die geringste Chance gehabt, aber die Regierung sah wohl keinen anderen Ausweg, wenn Zehntausende von Briten buchstäblich erfroren.
Seit wir das Fernsehgerät besaßen, waren wir Nachrichten-Junkies geworden. Wie auch nicht, wenn dauernd irgendwo etwas Schreckliches passierte.
» Jeden Tag wieder was Neues«, seufzte Jeannie. » Ich habe das alles so satt.«
» Es geht sicher bald wieder aufwärts«, sagte ich.
» Aber so geht’s doch schon seit Jahren«, brummelte Jeannie. Sie ging in unsere kleine Küchenecke hinüber, öffnete den Kasten, der uns als Küchenschrank diente, und linste hinein. » Hat jemand was dagegen, wenn ich ein paar Reiskekse mit Erdnussbutter esse?«
» Nein, mach nur«, sagte ich. Vermutlich war es gar nicht mehr nötig, die anderen um Erlaubnis zu fragen, bevor man etwas aß, aber es war eine Gewohnheit aus unseren Nomadentagen, die wir nicht so einfach ablegen konnten.
Colin schaltete den Fernseher aus. » Jasper, was hältst du davon, wenn wir vor dem Schlafengehen zehn Minuten die Klimaanlage anstellen? Jeannie und ich finden, dass es sinnvoll wäre, damit wir es zum Einschlafen schön kühl haben.«
Ich zuckte die Achseln. » Hört sich gut an.« Wir kamen einigermaßen über die Runden, also konnten wir es uns wohl leisten, ein bisschen mehr Strom zu kaufen.
Mit dem Rad war die Fahrt nach Southside ganz schön lang, aber ich hatte ja Zeit.
Ich radelte die Bull Street hinauf, fuhr quer über die Plätze und schaute mir all die Häuser an, die in meiner Kindheit so schön gewesen waren. Damals hatte man diesen Stadtteil Historic District genannt, es war die teuerste Wohngegend in ganz Savannah gewesen.
Ich bemühte mich, nicht in Erinnerungen an die Zeit zu schwelgen, bevor alles so schlimm geworden war, aber manchmal konnte ich einfach nicht widerstehen. Erinnerungen lassen sich nur schwer unterdrücken, wenn
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