Wie die Welt endet: Roman (German Edition)
ich wusste es einfach. Ich wollte keine Frau, die ein Kind dieser Zeit war. Ich wollte die Richtige.
» Entschuldige bitte«, sagte ich.
» Kein Problem.« Sie legte auf.
Ich steckte mein Handy wieder in die Tasche und ging nach Hause.
Auf dem Chippewa Square hatte sich eine Menschenmenge versammelt. Als ich zwischen den Köpfen hindurch auf den freien Platz vor der Statue von Oglethorpe schaute, wurde mir flau im Magen. Dort, ganz in der Nähe meiner Wohnung, wurden Menschen hingerichtet. Sechs oder sieben Angehörige der DeSoto-Polizei– das war die lokale Abteilung des Zivilschutzes, die dem » Bürgermeister« Duck Adams unterstand– führten die Exekutionen durch. Nach meinen letzten Informationen gab es noch drei oder vier weitere » Bürgermeister«, die jeweils über einen Teil der Stadt herrschten.
Ein fetter DeSoto mit Bürstenschnitt schob einer schreienden alten Dame ein Gasgewehr ins Gesicht, während zwei andere DeSotos sie festhielten. Es war so ein Gewehr mit einer schwarzen Maske am Ende des Laufes. Die Waffe pfiff. Die alte Dame wurde stocksteif und fiel dann mit zuckenden, ruckartigen Bewegungen auf das Pflaster, so als würden sich alle Muskeln in ihrem Körper gleichzeitig verkrampfen. Ihr Mund verzerrte sich zu einem O, ihre Augen verdrehten sich nach oben, sodass im Weiß der Augäpfel rote Adern sichtbar wurden.
» Verdammte Scheiße«, sagte ein Junge neben mir mit einer Mischung aus Abscheu und Erregung in der Stimme. Er konnte nicht älter als dreizehn sein. » Wahrscheinlich hat sie mal gedacht, sie würde an Herzschwäche oder so was sterben.« Weißer Schaum spritzte ihr aus dem Mund, anderthalb Meter weit, er zischte und dampfte auf dem heißen Pflaster.
» Was kann diese alte Dame bloß verbrochen haben, um so einen Tod zu verdienen?«, sagte ich leise. Es war krank, dass alle einfach dastanden und zuschauten, wie Menschen vergast wurden.
» Es geht nicht darum, was man tut, sondern was man sagt«, antwortete der Junge.
» Stimmt. Und was man weiß«, ergänzte ich. Im Moment war Savannah ein gefährliches Pflaster für Gebildete, insbesondere für solche, die Artikel für Untergrundzeitungen schrieben oder spontan auf den Plätzen Reden hielten.
» Die Wölfe lauern ständig vor der Tür«, fügte der Junge hinzu, während die DeSotos die tote alte Frau aufhoben, sie zu einem Lieferwagen trugen und auf einen Haufen weiterer verrenkter Leichen schmissen.
» Das ist nicht richtig! Das ist nicht richtig!«, rief ein Mann aus der Gruppe der Menschen, die vergast werden sollten. Er trug eine altmodische Anzughose und ein Oberhemd. Ein DeSoto knallte ihm den Gewehrkolben in den Nacken. Der Mann stolperte gegen den vor ihm Stehenden und hielt sich an ihm fest, um nicht zu stürzen. Ich wollte mich abwenden, blieb dann aber doch stehen. Der ältere Herr kam mir bekannt vor. Ich betrachtete ihn genauer. Woher kannte ich ihn bloß? Jedenfalls musste es lange her sein, dass ich mit ihm zu tun gehabt hatte.
Jetzt schniefte er. Es war ein nervöser Tick, und plötzlich fiel bei mir der Groschen: Er war Lehrer an meiner Highschool gewesen. Mr. Swift, mein Englischlehrer in der elften Klasse. Das war wirklich Millionen Jahre her– damals, als im Kühlschrank immer genug zu essen gewesen war und man das kristallklare Wasser aus dem Hahn einfach weiter laufen ließ, während man sich die Hände wusch. Mr. Swift war ein netter Kerl gewesen, und er hatte mich gemocht. Das war nicht oft vorgekommen. Ich war ein stiller Schüler gewesen, intelligent, aber ohne zu den Klassenbesten zu gehören, und ich hatte mich bei den Lehrern nicht genug eingeschmeichelt, deswegen hatten sie mich kaum beachtet. Mr. Swift war die Ausnahme gewesen– er hatte mir immer besondere Aufmerksamkeit geschenkt, und das hatte mir gutgetan.
Nun schaute er in die Menge. » Helfen Sie uns. Verhindern Sie dieses Morden.« Doch niemand regte sich.
Dann fiel sein Blick auf mich.
» Ich kenne Sie doch– ja. Bitte.« Nach dreizehn, vierzehn Jahren erinnerte er sich immer noch an mein Gesicht.
» Redet der mit dir?«, fragte der Junge neben mir.
» Keine Ahnung«, nuschelte ich. Ich hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen. Aber ich konnte überhaupt nichts tun. Wenn ich jetzt den Mund aufmachte, war es durchaus möglich, dass ich gleich nach Mr. Swift an die Reihe kam. Daher blieb ich einfach stehen. Ich schämte mich so sehr, dass ich mich auch nicht einfach umdrehen und weggehen konnte. So schaute ich zu, wie sie
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