Wie die Welt endet: Roman (German Edition)
vorbeifahrenden Wagen übertönte alles andere. Auf vielen standen bis an die Zähne bewaffnete Regierungssoldaten. Es waren bestimmt hundert Waggons.
» Nachschub für die Truppen, der kommt immer aus Atlanta«, sagte Sebastian. » Das ist die nächste Stadt, wo sie ein Nachschub-Lager haben.«
» Nachschub-Lager?«, fragte Colin.
» Da wird Nachschub für die Truppen jahrelang irgendwo eingelagert, für eine Situation, wie wir sie jetzt haben. So ein Waggon kann mehr als eine Million Flaschen mit Wasser enthalten, hunderttausend Verpflegungspakete, Generatoren samt Treibstoff dafür, Zelte, eben alles, was ein Soldat so an Ausrüstung braucht.«
» Und wenn sie den Zug in Savannah ausgeladen haben, packen sie die leeren Waggons mit Leichen voll und werfen sie dann hier in den ausgetrockneten Teich«, sagte ich. Niemand widersprach. Wenn die Regierung ausländische Fischkutter versenkte, damit sie uns nicht den Fisch wegfingen, brachte sie vielleicht auch ganze Zugladungen illegaler Einwanderer um, die über die Grenzen strömten.
Als der Zug vorbei war, zwängten wir uns durch den Bambus zurück auf die Gleise.
Ich fand mich neben Deirdre wieder. Ich zögerte, überlegte, ob ich so tun sollte, als müsse ich Cortez oder Colin etwas sagen und auf die beiden warten. Aber es war schon zu spät, mein Ausweichmanöver wäre zu offensichtlich gewesen.
» Und wie ist es dir so ergangen«, fragte ich.
» Spitzenmäßig«, sagte sie. » Alles allererste Sahne.« In der Ferne pfiff der Zug. » Sieht ja nicht so aus, als hättest du bei dieser Wichserveranstaltung, wo ich dich zufällig getroffen habe, die Richtige gefunden.«
» Nee«, sagte ich. Ich war versucht, Deirdre darauf hinzuweisen, dass sie ebenfalls an dieser Wichserveranstaltung teilgenommen hatte, aber ich hielt es für klüger, diese kleine Wahrheit für mich zu behalten.
» Eins will ich gleich klarstellen«, sagte Deirdre. » Du hast zwar dafür gesorgt, dass ich mich eurer Bande anschließen konnte, aber das heißt nicht, dass ich mich von dir ficken lasse.«
» Kapiert«, antwortete ich. » Ich konnte im Bett sowieso nie mit dir mithalten. Du warst zu viel für mich.«
Mit einem Seitenblick prüfte Deirdre, ob das sarkastisch gemeint war. » Da hast du verdammt recht.« Sie lächelte. Nur ein wenig, nur mit den Mundwinkeln, aber es war schön zu sehen.
» Jasper!«, rief Colin von hinten. Ich blieb stehen, um auf ihn zu warten. Deirdre ging weiter.
» Ich dachte, ich sollte dich mal retten«, sagte Colin, als er mich einholte.
» Das hast du genau richtig beobachtet. Danke.«
» Gern geschehen«, sagte er. » Und? Bist du schon mal in Athens gewesen?«
Ich nickte. » Ich hatte einen Freund, der an der University of Georgia studiert hat. Jack Stamps, erinnerst du dich?«
» Na klar. Großer Kerl, lockiges Haar.«
» Den habe ich einmal in Athens besucht. Hübsche Stadt. Schöne Innenstadt, gleich neben dem Campus, der ist riesig.«
» Ob die Stadt wohl noch heil ist? Oder ob viel verbrannt ist?«
» Sebastian weiß das wahrscheinlich.« Ich deutete mit dem Daumen auf Sebastian, der allein ging und dabei wie ein geisteskranker Obdachloser vor sich hin lachte.
Colin blieb stehen, holte etwas aus seinem Schuh und ging wieder weiter. » Müssten wir uns nicht allmählich an das alles gewöhnen? Dass wir dreckig sind und keine Laptops haben?« Der Schweiß rann ihm über die Wangen und sickerte in seinen Dreitagebart, in dem sich ein Anflug von Weiß zeigte.
» Ich glaube, wir gewöhnen uns an Verbesserungen im Leben«, antwortete ich. » Aber ob wir uns jemals daran gewöhnen können, dass uns solche Verbesserungen wieder weggenommen werden, weiß ich nicht.«
» Jemals?«, hakte Colin nach.
» Bis wir sterben, meine ich. Wie auch immer, erzählt eurem Kind bloß nie, wie gut wir es früher gehabt haben.«
Über uns wich der Kiefernwald einem klaren blauen Himmel; vor uns zeigten eine Reihe hoher Getreidesilos und ein Riesenkrake aus langen silbernen Röhren, dass wir uns Statesboro näherten. Eine rote Ampel leuchtete durch den Bambus.
» Weißt du, was ich vermisse?«, fragte Colin. » Dicke Leute. Mir fehlt die Vielfalt der Körperformen.«
» Ist dir schon aufgefallen, dass dicke Frauen heutzutage viel begehrter sind als früher?«, fragte ich.
» In armen Ländern waren dicke Frauen ja schon immer heiß begehrt, denn kaum jemand konnte es sich überhaupt leisten, fett zu werden«, erklärte Ange.
Colin und ich schauten uns um.
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