Wie die Welt endet: Roman (German Edition)
einem spitz zulaufenden Hut, der auf fünf Beinen stand.
Durch die Haustür gelangte man in ein überladenes Wohnzimmer– goldene Polsterstühle mit Blumenmuster und ein riesiger Spiegel mit einem Rokoko-Goldrahmen. Ein Tisch war mit gerahmten Familienfotos vollgestellt, einige waren neueren Datums, andere alt. Manchmal vergaß man einfach, dass es Menschen gab, die ihr ganzes Leben in solchen Häusern verbracht hatten.
Das größte Foto war auch das älteste, vielleicht aus dem späten neunzehnten Jahrhundert. Eine siebenköpfige Familie posierte draußen vor der Villa. In der Mitte saß der Vater im Sonntagsstaat, mit gerunzelter Stirn und den Händen auf den Knien. Zwei ältere Frauen, eine davon vermutlich seine Ehefrau, die andere vielleicht eine Schwester, saßen rechts und links von ihm. Eine der Frauen hielt ein Buch, die andere ein armseliges Sträußchen Wiesenblumen. Hinter ihnen standen in einer Reihe vier halbwüchsige Kinder. Niemand lächelte. Die beiden jungen Mädchen hatten einen starren, gehetzten Blick, alle anderen sahen einfach erschöpft aus.
Die Farbfotos zeigten in der Mehrzahl glückliche Momente: Ein Vater mit Bauch hielt am Strand ein Kleinkind auf dem Arm; eine Frau in festlichem Schwarz nahm ein Diplom entgegen; eine junge Braut hielt einen bunten Rosenstrauß. Alle hatten strahlende Augen und wirkten unglaublich gesund.
Aus der jüngsten Zeit gab es nur wenige Fotos. Die Menschen darauf sahen denen auf dem ältesten Bild sehr ähnlich, bloß dass die neuen Aufnahmen in Farbe waren.
» Ich wünschte, wir hätten mal eine Gelegenheit zum Reden. Es gibt so vieles, was ich dir sagen möchte«, sagte Sophia leise. Ich wandte den Blick von den Fotos ab und sah sie an. Sie schaute zum Flur hinüber.
» Vielleicht kommt die Gelegenheit ja noch.« Ich wusste, dass ich eigentlich alles abwehren musste, was darauf schließen ließ, dass uns noch irgendetwas verband, aber ich war auch wahnsinnig gespannt, was Sophia mir sagen wollte.
Cortez packte seinen Seesack auf den Couchtisch und verschwand in der Küche. Er kam mit acht langstieligen Gläsern zurück, die er auf den Tisch stellte.
» Hey«, rief er, » kommt mal alle her!« Einer nach dem anderen trudelten wir im Wohnzimmer ein, und Cortez bat uns, Platz zu nehmen. Er zog eine fast volle Flasche Gin aus seinem Seesack.
» Du bist der Hammer«, sagte ich, als er anfing, uns einzuschenken. » Wo ist Deirdre denn?«
Ich rief nach ihr, erhielt aber keine Antwort. Zwei oder drei andere fingen auch an zu rufen, darunter auch Sebastian, der ihren Namen eher sang als rief.
» Was wollt ihr denn?«, sagte sie. In einem seidenen Nachthemd stand sie oben an der Treppe und futterte eine Tafel Schokolade. In der anderen Hand hielt sie ein Fläschchen mit Pillen.
» Das ist doch mein Nachthemd!«, rief Jeannie.
» Und das ist unsere Schokolade!«, sagte Jean Paul.
Deirdre biss einen großen Happen von der Schokolade ab. » Nein, wir sind doch eine Sippe, also gehört das allen zusammen. Guckt doch mal, was für tolle Sachen ich ganz unten in den Rucksäcken gefunden habe! Ange hatte sogar Valium für uns dabei.«
» Du hast in unseren Sachen gewühlt?«, fragte Ange. » Du bist echt ein Stück Scheiße.«
» Ach, ich bin also das Stück Scheiße? Ich darf meinen eigenen Strom nicht benutzen, weil ich ihn mit der Sippe teilen soll, aber ihr dürft eure kleinen Schokoladenvorräte und eure Drogen für euch behalten? Ihr seid doch die Arschlöcher.« Sie verschwand oben im Flur.
» Wir wollten die Schokolade mit euch teilen«, erklärte Jean Paul. » Wir haben nur auf den richtigen Zeitpunkt gewartet, so wie Cortez mit seinem Gin.«
» Du brauchst dich nicht zu rechtfertigen, wir vertrauen dir«, sagte Cortez. » Wir lassen uns von Deirdre nicht gegeneinander aufhetzen. Kommt, wir wollen trinken und fröhlich sein.«
Ich hob mein Glas. » Auf Cortez, der uns mit Gin und Hundefleisch versorgt hat.«
» Auf Cortez!«, stimmten alle ein.
» Hundefleisch?«, hakte Ange nach. » Verdammt, haben wir etwa Hundefleisch gegessen?« Sie trank einen großen Schluck aus ihrem Glas.
Wir machten uns einen schönen Abend, spielten bei Kerzenlicht » Wahrheit oder Pflicht« und stellten fest, dass Cortez in seinem Leben die meisten Geliebten gehabt hatte (etwa vierzig, schätzte er) und Colin die wenigsten (vier)– so geht’s, wenn man mit sechsundzwanzig heiratet und auf der Highschool eine Trantüte war. Wir erfuhren, dass Jeannie fand, das
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