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Wie die Welt endet: Roman (German Edition)

Wie die Welt endet: Roman (German Edition)

Titel: Wie die Welt endet: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will McIntosh
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sich zum Militärdienst melden. Offenbar gab es irgendein Gesetz, das die Regierung im Notfall zu dieser Maßnahme berechtigte. In dieser Hinsicht schien der Radiosprecher sicherer zu sein.
    » Lasst uns in zehn Minuten aufbrechen«, verkündete Cortez. » Bis nach Statesboro sind es etwa zwanzig Meilen. Wäre schön, wenn wir das bis heute Abend schaffen würden.« Er wandte sich an Jean Paul. » Bitte versteh mich nicht falsch, aber es wäre sicherer, wenn du etwas anderes anziehen würdest.«
    » Was stört dich denn an meinen Klamotten?«, wollte Jean Paul wissen. Er trug einen grünen Jogginganzug von einer bekannten Marke.
    » Du siehst nicht arm aus. Aber es ist am besten, wenn wir so wirken, als hätten wir nichts, was einen Raubmord lohnen würde.«
    » Entschuldige, aber wer hat dir hier das Kommando übertragen?« Jean Paul stützte die geballten Fäuste in die Hüften. Der unreife Teil in mir spitzte die Ohren und hoffte, Jean Paul würde den Fehler machen, eine Prügelei zu provozieren. Die würde er nämlich jämmerlich verlieren. Mein reifer Anteil dagegen wusste, dass jedes Mitglied die Aufgabe hatte, für Frieden und Harmonie in der Sippe zu sorgen.
    » Wir alle«, mischte ich mich ein. » Wir haben ihm nicht gerade das Kommando übertragen, aber er ist unser Vorsitzender im › Überlebens-Ausschuss‹.«
    » Außerdem ist er für die Kleiderordnung zuständig«, fügte Colin hinzu.
    Jean Paul schaute uns nicht an. Er zog einfach seine Jacke aus, hockte sich neben seinen Rucksack und murmelte leise etwas vor sich hin, während er darin herumkramte.
    Wir kämpften uns voran, die Schwellen glitten unter unseren Füßen dahin, und der Bambus verschaffte uns die Illusion, dass wir uns rasch vorwärtsbewegten. Gelegentlich gab es offene Stellen im Bambusdickicht. Normalerweise lagerten dort Flüchtlingsgruppen. Viele bettelten uns um Lebensmittel an, wenn wir vorbeiwanderten. Ab und zu war sogar mal ein halber Morgen relativ bambusfrei, aber meistens bildete das wuchernde Zeug einen grünen Dschungel.
    » Na«, sagte Cortez und kam an meine Seite, » hast du eigentlich zurzeit eine Freundin?«
    Ich lachte über seine Frage, die in unserer gegenwärtigen Situation einfach absurd war. Cortez grinste. Offenbar wollte er mich ein bisschen aufheitern.
    » Nö, eigentlich nicht. Und du?«
    » Ich mache gerade Pause. Ein spirituelles Zölibatsfasten.«
    » Aha? Und warum?« Das hieß, dass er an Ange kein Interesse mehr hatte, zumindest im Moment nicht.
    Cortez suchte nach Worten. » Aus mehreren Gründen, denke ich. Einen davon kennst du.«
    » Ja. Ich kann auch nicht sagen, dass mir in diesen Tagen sehr nach Verlieben zumute ist. Aber andererseits habe ich es auch satt, allein zu sein, verstehst du?«
    » Klar.«
    Sebastian, der mit Colin und Ange vor uns ging, rief etwas. Alle drei waren stehen geblieben. Sie betrachteten eine riesige Wohnwagensiedlung, die hüfthoch mit Bambus zugewuchert war.
    » Was ist denn?«, rief ich zurück. Sebastian winkte uns zu sich. Ausnahmsweise lächelte er nicht.
    Dann bemerkte ich den Gestank.
    Ich hatte schon viele Leichen gesehen– wer nicht gerade in einer der elitären Enklaven lebte, war ständig mit dem Anblick konfrontiert–, aber so etwas war mir noch nicht unter die Augen gekommen. Da lagen Tausende, vielleicht Zehntausende. Männer, Frauen, Kinder, sie füllten einen ausgetrockneten Teich zwischen dem Bahndamm und der Wohnwagensiedlung. Es war ein Wirrwarr aus Armen und Beinen, Gesichtern und schmutziger Kleidung, und ab und zu schob sich ein Bambussprössling zwischen ihnen hindurch.
    » Sieht aus, als wären sie alle Latinos«, bemerkte ich.
    Sophias Augen wurden groß, als sie die Ermordeten sah. Sie hielt sich eine Hand vor den Mund und fing an zu schluchzen. Jeannie legte ihr behutsam die Hände vor die Augen und führte sie fort.
    » Wahrscheinlich Ausländer«, sagte Ange. » Die Leute sind nicht gerade freundlich zu Fremden, wenn sie ihnen die Lebensmittel streitig machen, weil es nicht für alle reicht.«
    » Ich glaube nicht, dass Ortsansässige das getan haben– dafür sind es zu viele.« Ich dachte an den abgesperrten Bereich auf der Bull Street, dem wir gerade erst entflohen waren, und wie sie dort die Ausländer aussortiert hatten.
    Wie aufs Stichwort pfiff in der Ferne ein Zug. Wir drückten uns in den Bambus und warteten.
    Unten an der Lokomotive waren in V-Form lange Schneiden angebracht, wie ein Schneepflug für Bambus. Das Rumpeln der

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