Wie du Ihr
beschäftigt, nicht an meine schmerzenden Schultern oder die vielen Stunden, die noch vor uns lagen, zu denken. Oder daran, wie Jonathan und Rebecca abrupt verstummt waren, als ich mich am Morgen zu ihnen gesellt hatte.
Den Wind im Tararua-Gebirge kann man nicht allzu lange ignorieren. Als wir auf dem Gipfel des Bull Mound anlangten, sahen wir sofort, dass dies kein lauschiger Ort war. Keine Bäume. Nur niedriges Dornengestrüpp, das sich an den felsigen Untergrund schmiegte. Die einzigen Farbkleckse in der grauen Felslandschaft waren leuchtend grüne Moosflecken. Am Himmel trieben Wolkenfetzen.
Wir kamen aus Wellington. Eigentlich waren wir an starken Wind gewöhnt. Unten in der Stadt fegte der Sturm oft durch die engen Gassen und die Kinder mussten sich an Parkuhren festhalten, um nicht davongeweht zu werden. Aber dieser Wind war anders. Dieser Wind war Furcht einflößend. Er dröhnte in meinen Ohren und zerrte aus drei verschiedenen Richtungen an mir. Er blähte meine Nasenflügel auf und zog an meinen Augenlidern. Er brachte mich in tausenddreihundert Meter Höhe zum Schwanken, ohne die geringste Unterschlupfmöglichkeit. Grenzsteine zeigten uns den Weg in Richtung Süden über den flachen Gipfel. Wenigstens waren wir weit weg von steilen Abhängen.
Instinktiv hängten wir uns beieinander ein. Jonathan und Rebecca. Ms Jenkins und ich nahmen Lisa in die Mitte. Wir stolperten vorwärts, klammerten uns aneinander und duckten uns schützend, wenn uns ein besonders heftiger Windstoß erfasste. Jonathan erwischte es als Ersten. Er und Rebecca waren vor uns und ich sah, wie er über einen Felsen stolperte und Rebeccas Arm losließ. Es war erschreckend, wie schnell der Wind ihn packte und samt Rucksack wie eine Feder in die Luft wirbelte. Er landete wenige Meter von seinem Ausgangspunkt entfernt rücklings auf seinem Rucksack. Mit rudernden Armen und Beinen wie ein umgekippter Käfer.
Wir hasteten zu ihm. Der Wind trug jeden Laut, den man von sich gab, davon, ehe man etwas hören konnte. Erst als ich direkt über ihm stand, sah ich, dass Jonathan lachte. Er lachte aus vollem Halse. So sehr, dass er kaum noch Luft bekam. Er ergriff unsere ausgestreckten Arme und zog sich hoch.
»Los, komm, Marko!«, rief er mir ins Ohr. »Lauf los! Das war das Coolste, was ich je erlebt habe!«
Wir rannten. Als mich der Wind das erste Mal packte, bekam ich Panik. Ich war mir sicher, dass ich ungünstig landen, mir ein Knie verdrehen oder mit dem Kopf voraus gegen einen Felsen knallen würde. Doch Jonathan hatte recht. Wenn man erst einmal den Dreh raushatte, machte es einen Riesenspaß. So ungefähr musste es sich anfühlen, auf dem Mond spazieren zu gehen. Mithilfe des Windes wurde man vorübergehend schwerelos und irrte wie ein Betrunkener mit Riesensprüngen über die Erde. Wenn man wieder nach unten fiel, musste man sich rasch auf den Rücken drehen und den Rucksack als Sicherheitspolster benutzen. Dann schnell wieder aufstehen und zu den anderen laufen, während der Wind unser fröhliches Gelächter davonwehte, bis es irgendwo im Tal an den Blättern der Bäume hängen blieb. Es war ein wundervolles Gefühl, einer so mächtigen Naturgewalt ausgeliefert und doch unbesiegbar zu sein.
Am südlichen Ende des Bull Mound führte ein sumpfiger Weg in den Schutz der Bäume hinunter. Dort blieben wir stehen und dachten daran, wie der Wind mit uns und wir mit ihm gespielt hatten. Eine Viertelstunde auf dem Berggipfel hatte uns genug Energie gegeben, dass wir den restlichen Weg bis nach Alpha bewältigen konnten. Dieses eine Mal war es Jonathan gewesen, der uns wieder zusammengebracht hatte.
Das letzte Stück der Wanderung führte durch ein feuchtes Waldgebiet, wo alles außer dem Himmel mit einem dichten Moosteppich bedeckt zu sein schien. Eine grasgrüne Landschaft wie aus einem Märchenfilm. Schweigend wanderten wir zwischen den Bäumen hindurch. Es war das erste Mal, dass wir die Wanderung genossen, obwohl wir uns natürlich auf die Rast in der Hütte freuten.
Die Hütte war deutlich komfortabler als Cone Hut. Ziemlich neu und funktional gebaut. Vom Schlafraum blickte man auf eine großzügige offene Küche. Hohe Fenster machten den Raum hell und freundlich. Auf jedem Bett lag eine Matratze, und soweit ich das beurteilen konnte, gab es keinerlei Schlupflöcher und Ritzen für Ratten. Lisa trat zu der Landkarte an der Wand.
»Seht mal. Das alles haben wir heute geschafft.« Sie fuhr mit dem Finger den Weg entlang. »Wir haben fast
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