Wie du Ihr
berstendem Boden und rutschenden Erdhängen. Neue Risse im Baustoff der Erde. Und Schreie. Meine Schreie gemischt mit den Schreien der anderen, während wir uns verzweifelt aneinander-klammerten, weil es das Einzige war, woran wir uns noch festhalten konnten. Wir wussten, wie schlimm es um uns stand, ohne es sagen zu müssen. Der Boden konnte jeden Moment unter uns nachgeben, und das wäre das Ende. Wir würden überleben oder sterben und waren dem Schicksal hilflos ausgeliefert.
Mein Kopf fühlte sich dumpf an, während ich wartete. Es war, als würde ich alles aus der Ferne beobachten. Die ganze Welt löste sich aus den Angeln – sogar die Zeit stand still. Wenn man mich gefragt hätte, wie lange es dauerte, hätte ich gesagt, eine Ewigkeit.
Dann war es vorbei. Zumindest das Hauptbeben. Plötzlich zitterten nur noch unsere Körper. Wir machten alle merkwürdige, namenlose Geräusche vor Angst und Erleichterung.
»Die Stadt ist weg«, flüsterte ich schließlich. Ich weiß noch, wie ich zum Hafen hinunterblickte und nichts als undurchdringliche Finsternis sah. Als hätte sich die Erde schlafen gelegt und das Licht ausgemacht. Es war totenstill, während jeder von uns an die Zerstörung dachte und wie knapp wir dem Tod entronnen waren. Dann kamen die Explosionen. Zwei Lichtblitze, die sich in gigantische Feuerbälle verwandelten und zum Himmel aufstiegen wie ein außer Kontrolle geratenes Feuerwerk.
»Sollen wir zur Hütte zurückgehen?«, fragte Rebecca. Die Unsicherheit in ihrer Stimme klang ungewohnt.
»Noch nicht«, antwortete Ms Jenkins. »Es gibt bestimmt noch mehrere Nachbeben. Im Moment ist es sicherer, wenn wir hierbleiben.«
In der nächsten halben Stunde bebte es noch drei Mal. Das zweite Beben war am schlimmsten – wie eine Antwort auf das Hauptbeben. Erst nachdem die Erde zwanzig Minuten lang ruhig geblieben war, gab Ms Jenkins Entwarnung. Niemand stellte ihre Autorität infrage oder witzelte darüber, dass bei der Exkursion doch die Schüler entscheiden sollten. Wir hatten schreckliche Angst und brauchten sie.
Sie ging vorsichtig voraus, immer einen Fuß vor den anderen. Wir hatten die Taschenlampen angeknipst und gingen so dicht hintereinander, dass ich Lisas warmen Atem in meinem Nacken spürte. Meine Beine zitterten und waren verkrampft vor Angst und zu langem Sitzen in der Kälte.
»Passt genau auf, wo ihr hintretet«, ermahnte uns Ms Jenkins. »Es könnte überall ein Erdrutsch sein oder gerade entstehen.«
In der Dunkelheit konnten wir nicht sehen, wie sehr sich die Welt um uns herum verändert hatte. Aber ich versuchte, es mir vorzustellen. An einem Punkt schien der Weg plötzlich zu Ende zu sein und wir gingen durch lose Erde und Steine. Dann quetschten wir uns zwischen Felsbrocken hindurch, die viel zu groß erschienen, um bewegt werden zu können. Aber auf dem Hinweg waren sie definitiv nicht da gewesen.
»Sind Sie sicher, dass das der richtige Weg ist?«, fragte Lisa hinter mir.
»Ja. Wartet mal. Das fühlt sich ziemlich wacklig an. Okay, ich glaube, es geht.« Ms Jenkins war auf einen hüfthohen Felsbrocken geklettert. Jonathan kletterte hinterher, dann Rebecca. Als sie oben war, drehte sie sich zu mir um und streckte mir die Hand entgegen. In diesem Moment bewegte sich der Fels und sie fiel mit einem lauten Schrei nach vorn und warf mich rücklings auf den Boden.
»Eigentlich hättest du mich auffangen sollen«, scherzte sie, aber ich spürte, dass sie genauso zitterte wie ich. Wir hörten, wie der Felsbrocken den Abhang hinunterrollte und irgendwo im Gebüsch liegen blieb.
»Verdammt.«
»Alles okay mit euch?«
»Was ist passiert?«
Lichtkegel wanderten durch die Dunkelheit. Ich nickte und lächelte schwach. Mehr schaffte ich nicht.
Erleichtert stellten wir fest, dass die Hütte noch stand. Nur die Umgebung sah nicht mehr so aus wie vorher, soweit wir das im Dunkeln beurteilen konnten. Ms Jenkins schärfte uns ein, draußen zu warten, während sie die Hütte dreimal mit der Taschenlampe umrundete. Sie inspizierte das Fundament, trat prüfend gegen die Wände und lehnte sich gegen den Wassertank. Ich vertraute ihr. So wie man als Kind seinen Eltern blind vertraut, weil alles andere viel zu beängstigend wäre.
Als wir schließlich hineingingen, liefen wir alle rastlos umher, als müssten wir dringend etwas erledigen, wüssten aber nicht mehr, was. Ich stand neben Lisa am Bett. Sie drehte sich zu mir um und vergrub ihren Kopf an meiner Brust. Jemand zündete eine Kerze an
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