Wie du Ihr
alle Steigungen hinter uns.«
Wir umringten sie neugierig. Sie hatte recht. Alpha Hut lag auf tausenddreihundert Meter Höhe, nicht weit vom höchsten Punkt der Bergüberquerung. Wir streiften unsere Rucksäcke ab und ließen uns auf die Betten fallen. Langsam machte sich Erleichterung darüber breit, dass wir die Tagesetappe geschafft hatten, und wir waren stolz auf uns. Es war die Art von Erleichterung, der das Schicksal auflauert.
Das Abendessen war lecker. Rebecca war mit Kochen dran und machte einen riesigen Topf Reiscurry mit frischem Gemüse und Cashewkernen. Mit zufriedener Miene sah sie zu, wie Jonathan und ich uns beeilten, um uns eine zweite Portion zu sichern. Dann folgte die vorhersehbare Debatte um den Abwasch, die ich verlor. So wie ich jede Debatte verliere. Weil mir die Argumente ausgehen. Danach erledigten wir unsere abendliche Funkmeldung. Die anderen hatten sich auf den Weg nach Kime gemacht, ehe der Wind aufkam. Von ihnen gab es noch keine Nachricht. Ich rechnete fest damit, dass wir uns sofort aufs Ohr hauen würden, um unser Schlafdefizit nachzuholen. Aber Ms Jenkins hatte andere Pläne.
»Wer von euch kommt noch zu einem kleinen Spaziergang zum Gipfel mit?«, fragte sie. »Es sind nicht mehr als fünfzehn Minuten.«
»Ein kleiner Spaziergang?«, sagte Jonathan. »Wie schön! Nach so einem ruhigen Tag kann ein bisschen Bewegung bestimmt nicht schaden.«
»Wir gehen doch morgen sowieso hoch, oder?«, fragte Lisa.
»Aber nicht bei Nacht. Der Wind hat sich gelegt. Draußen ist es wunderschön.« Sie wischte über die beschlagene Fensterscheibe. Der Himmel war mit Sternen übersät. »Von da oben hat man einen umwerfenden Blick über die ganze Stadt.«
»Ich komme mit«, erklärte Rebecca und setzte sich in ihrem Bett auf. Es war eine Herausforderung und wir nahmen sie an. Sogar Lisa überwand sich und schlüpfte der Gruppe zuliebe noch einmal mit den warmen Füßen in die nassen Strümpfe.
Wir folgten einem schmalen Pfad, der zum Gipfel führte. Wenig später waren wir wieder über den Bäumen und stapften durch taunasses Berggras. Die Luft war kühl und roch sauber. Bis auf Lisa hatten wir alle unsere Taschenlampen dabei. Ms Jenkins bat uns, sie auszuknipsen, damit sich unsere Augen an das milchige Licht des tief stehenden Halbmonds gewöhnten. Es war, als wanderten wir durch eine andere Welt. Hier oben schien so vieles, was zu unserem Leben gehörte, plötzlich unglaublich weit weg: Hausaufgaben, Fernsehen, Supermärkte.
»So sieht ein richtiger Nachthimmel aus«, sagte Ms Jenkins und blieb stehen. Der Anblick war überwältigend. Am Himmel leuchteten so viele Sterne, dass es mehr weiße als schwarze Punkte zu geben schien. Mit offenem Mund betrachtete ich das Funkeln über mir. Es war ein unbeschreibliches Gefühl.
»Mein Gott, ist das schön«, flüsterte Lisa, deren Stimme in der Stille laut und deutlich zu hören war. Wir nickten nur zustimmend.
Südlich von uns glitzerten die Lichter von Wellington, als leuchtete es nur für uns. Wir entdeckten einen schmalen, windgeschützten Felsvorsprung nicht weit vom Rand und drängten uns eng aneinander, um uns zu wärmen. Ms Jenkins begann zu erzählen. Allmählich entspannte sie sich mit uns. Jetzt, wo die anderen weit weg waren, wo alles weit weg war.
Sie zeigte uns Sternbilder und erklärte, wie man sich mit dem Kreuz des Südens orientierte, als die erste Welle den Boden erschütterte. Ich hatte schon mehrere Erdbeben erlebt und zuerst war es so wie immer. Im allerersten Moment begreift man noch nicht, was los ist. Man denkt, es wäre wegen der Dunkelheit oder ein Gleichgewichtsproblem. Bis man sich verwundert umsieht und feststellt, dass die anderen genauso verwirrt sind wie man selbst. Dann weiß man plötzlich, was Sache ist. Das kann nur eins sein. Der Boden schwankt wie ein Schiff bei starkem Seegang. Man denkt an alles, was passieren und schiefgehen könnte. Vielleicht schreit jemand oder ruft »cool!« und man benutzt es als Ausrede, um noch ein bisschen näher zu rücken. Und dann wartet man, dass es vorbeigeht, weil es immer vorbeigeht. Man wartet, bis der Boden wieder zu festem Boden wird, eine dicke Kruste über einer flüssigen Erde. Aber dieses Mal war es anders. Dieses Mal hörte es nicht auf.
Im Gegenteil. Es wurde immer schlimmer. Aus dem Beben wurde heftiges Rütteln und aus dem Rütteln wurden Wellen. Es war, als hätte die Erde genug von uns und versuchte, uns abzuschütteln. Und dann die Geräusche. Geräusche von
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