Wie du Ihr
brauchte man dringend mehr Notfall-Einrichtungen. Weil die Aufzüge nicht funktionieren, haben sie die Psychiatrie hierher verlegt. Im Moment sind die Betten so knapp, dass sie jeden entlassen, der halbwegs gesund ist. Nur dich nicht. Warum nicht? Hat dich mal jemand besucht? Ich hab jedenfalls keinen gesehen. Warst du in der Stadt, als es passiert ist?«
Ich schüttelte den Kopf. »Versteck mich einfach.«
»Warum?«
»Das geht dich nichts an.«
»Dann kann ich dir leider nicht helfen.«
Es war zu viel. Jetzt, wo ich wieder redete, fiel es mir schwer, mich zu beherrschen. Meine Wut brach aus mir heraus. Ich riss ihn vom Stuhl hoch und drückte ihn gegen die Wand. Er war leicht und wehrte sich kaum. Die unbändige Wut in mir verlieh mir außergewöhnliche Kräfte. Genug Kraft, um ihn zu vernichten, wenn es sein musste. Ich hielt ihn fest und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen.
»Ich kann dir nichts sagen, aber ich brauche deine Hilfe.« Ich sprach betont langsam, als hätten die Worte dann mehr Gewicht. »Ich muss an einen Ort, wo niemand nach mir sucht. Nur für eine Nacht. Das ist alles. Bitte!«
Ich ließ ihn los, trat aber nicht zurück. Ich wartete auf seine Antwort. Er atmete langsam aus.
»Du bist wirklich ein komischer Kauz«, sagte er leise. »Und glaub mir, ich habe schon einige Verrückte gesehen. Na schön. Komm mit.«
Keine Abmachungen, keine Fragen mehr. Er lenkte einfach nur ein und führte mich zu dem neuen Ort, an dem ich jetzt sitze. Es ist wieder ein kleiner Raum, dieses Mal in einem halb fertigen Teil des Krankenhauses. Die unverputzten Wände sind mit Gipskartonplatten verkleidet. Hinter einer Wand gibt es sogar eine Nische, in der ich mich notfalls verstecken kann, wenn jemand kommt. Zum Glück habe ich hier Strom, denn der Raum hat keine Fenster. Andrew ist vor etwa einer halben Stunde weggegangen. Er hat versprochen, mir später etwas zu essen und zu trinken zu bringen. Wahrscheinlich ist die Geschichte mit mir für ihn eine willkommene Abwechslung zwischen all dem Saubermachen und Bettpfannenleeren. Hoffentlich lässt er sich nichts anmerken.
Allmählich schöpfe ich wieder Hoffnung. Zum ersten Mal, seit ich hier bin, hat mich der Arzt aus den Augen verloren. Es gefällt ihm bestimmt ganz und gar nicht, dass ich plötzlich wieder die Oberhand habe. Später werde ich mich rausschleichen und nachsehen, wo genau ich bin. Ich werde mir einen Beobachtungsplatz suchen. Wenn der Arzt heute Abend Dienst hat, ist er tot.
16
Wenn man verfolgt wird, will man einfach nur so schnell wie möglich weglaufen. Aber das ist dumm, wenn man mitten im Wald ist. Während wir in panischer Angst bergab rannten, wurde es immer steiler. Unsere Füße verfingen sich im Gestrüpp und wir stolperten über Baumwurzeln und lose Steine. Unsere Verfolger hatten es leichter. Sie hatten weniger Angst als wir und mittlerweile gelernt, ihr Lauftempo zu drosseln und den Geräuschen unserer Schritte zu folgen. Sie hätten uns bestimmt erwischt, wenn Rebecca nicht plötzlich beschlossen hätte, sich zu verstecken.
Sie blieb unvermittelt stehen und drehte sich mit dem Finger auf den Lippen zu uns um. Dann bog sie seitlich in die moosbewachsene Felslandschaft voller umgestürzter Bäume ab. Hinter einem Dickicht aus Blättern und Zweigen entdeckte sie einen Hohlraum und schlüpfte hinein. Jonathan, Lisa und ich folgten ihr. Da ich der Letzte war, konnte ich mir lebhaft vorstellen, welch schöne Zielscheibe ich von hinten abgab, und rechnete jede Sekunde damit, den brennenden Schmerz einer Gewehrkugel in meinem Rücken zu spüren. Zum Glück hatten wir einen ordentlichen Vorsprung und ich zwängte mich zu den anderen in die Blätterhöhle, während sich unsere Verfolger durch das Gebüsch weit über uns kämpften. Es war ein ausgezeichnetes Versteck -für zwei Personen. Vier waren definitiv zu viel. Wir waren so dicht aneinandergepresst, dass ich das Pochen eines fremden Herzens in meinem Körper spürte. Ein kleines Stück meines Rückens ragte noch immer aus dem Versteck, aber es war unmöglich, mich noch weiter hineinzuzwängen. Es war furchtbar heiß und stickig und es roch nach Erde und nassem Laub. Ich spürte, wie mir ein Käfer über den Kopf krabbelte, konnte mich aber nicht bewegen. Im Halbdunkel des Gebüschs und der unübersichtlichen Landschaft standen unsere Chancen gut, dass sie uns nicht finden würden.
Sie rannten an uns vorbei. Nach dem Geräusch ihrer Schritte zu urteilen, hatten sie sich etwas
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