Wie du Ihr
zwar nicht mehr offiziell gepflegt, aber ich war da mal mit meinem Vater. Er führt zum Fluss runter. Dort können wir uns abseits des Weges einen Platz zum Schlafen suchen. Wir werden nachts zwar nur langsam vorankommen, aber wir können es trotzdem schaffen.«
»Und was ist, wenn der Fluss aufgestaut ist?«
»Dann sehen wir weiter.«
Nachts zu wandern ist anstrengend und gefährlich. Und nachts ohne Taschenlampen, Karte, Kompass und Weg in einer vom Erdbeben verwüsteten Gegend zu wandern ist noch viel gefährlicher. Vor lauter Angst blieben wir so dicht beieinander, dass wir ständig übereinanderstolperten. Ich tastete mich mit ausgestreckten Armen voran, um mein Gesicht vor Ästen zu schützen, und taumelte orientierungslos durch die Dunkelheit. Wir kamen zwar nur sehr langsam voran, aber wir kamen voran. Ich habe keine Ahnung, wie Rebecca es schaffte, nicht die Orientierung zu verlieren. Ich hatte das Gefühl, im Zickzack zu laufen, und wusste irgendwann nicht einmal mehr, wo oben und unten ist. Den ersten Erdrutsch bemerkten wir erst, als wir mittendrin waren. Wir waren schon mehrere Abhänge hinuntergeschlittert, aber bei diesem war es anders. Als wir wieder aufstehen und weitergehen wollten, sanken wir mit den Füßen in lose Erde ein.
»Das ist ein Erdrutsch, oder?«, fragte Lisa ängstlich.
»Ja, und das ist ziemlich dämlich von uns«, antwortete Jonathan an Rebeccas Stelle. Rebecca schwieg. Sie ging einfach weiter und wir folgten ihr. Ich fragte mich, ob Jonathan recht hatte. Vielleicht war das wirklich die falsche Entscheidung.
»Wie viel Uhr ist es?«, fragte Rebecca, als der Boden endlich wieder flacher wurde. Wir waren noch an einen zweiten großen Erdrutsch gekommen und darübergeklettert. Ich hatte das Gefühl, schon seit einer Ewigkeit durch die Finsternis zu irren.
»Halb eins.«
»Das heißt, wir sind jetzt seit ungefähr sechs Stunden unterwegs. Bis es hell wird, sind es mindestens noch vier. Ich glaube, wir sind jetzt am Mount Marchant und zum Kamm geht es da lang.« Wahrscheinlich zeigte sie in die entsprechende Richtung. Ich tat nicht einmal so, als versuchte ich, etwas zu erkennen. Ich wusste, dass sie sowieso nur raten konnte. Hoffentlich war sie gut im Raten. »Wir kommen heute Nacht noch bis zum Fluss. Und dann ist es nur noch ein Nachtmarsch und wir haben es geschafft. Wie sieht's denn im Moment bei euch aus?«
»Verkraftest du die ganze Wahrheit?«, fragte Lisa.
»Beschränk dich auf das Wichtigste.«
»Mir zittern die Beine. Wahrscheinlich werde ich bald ohnmächtig.«
»Ich hab wahnsinnigen Durst«, sagte Jonathan.
»Marko?«
»Ich hab Kopfweh und Hunger. Aber gleichzeitig ist mir auch schlecht. Meine Füße tun weh. Das Übliche.«
»Aber ihr schafft das nächste Stück noch?«
Ich dachte daran, wie sehr ich mich danach sehnte, mich hinzulegen und zu schlafen. Aber das wollte sie nicht hören. »Ja, es geht schon.«
»Von mir aus«, stieß Jonathan hervor. Ich glaube nicht, dass er jetzt noch scharf darauf war, Rebeccas Führungsrolle zu übernehmen.
»Weiter geht's«, sagte Lisa und versuchte, optimistisch zu klingen. »Aber wehe, einer von euch weckt mich, falls ich versehentlich einschlafe und meine Füße weitergehen.«
Ich frage mich, warum es Leuten wie Mr Camden Spaß macht, wandern zu gehen. Beim Wandern ist sogar der Abstieg anstrengend. Es tut nur woanders weh als beim Aufstieg. Rebecca behauptete steif und fest, dass wir einem Weg folgten. Doch das Gelände war steiler als jeder Weg, den ich jemals gegangen war. Anfangs tasteten wir uns vorsichtig abwärts und versuchten, möglichst aufrecht zu gehen. Doch dann siegte irgendwann die Schwerkraft. Wir schlitterten auf unseren Hintern bergab und hielten uns an Wurzeln und Zweigen fest, um die Bewegung zu steuern. Plötzlich erschien alles weit weg und unwirklich: die Müdigkeit, der Hunger und die Angst. Wir orientierten uns am Gelächter der anderen, klammerten uns zum Anhalten an Baumstämmen fest oder rutschten zu einem anderen, in der Hoffnung, dass dieser einen festen Halt bot. Es war wie mit dem Wind auf dem Bull Mound: Aus der Gefahr wurde für kurze Zeit Spaß, während wir die losen Steine, steilen Abhänge und Bruchkanten ausblendeten, die wir im Dunkeln nicht sahen. Wir machten uns nicht einmal Sorgen, wie weit man unsere Stimmen hören konnte. Wir hatten uns schon viel zu viele Sorgen gemacht. Ich hatte nur noch Energie für Bewegung und Spaß.
Nur für Rebecca war es anders. Sie trug immer
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