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Wie du Ihr

Wie du Ihr

Titel: Wie du Ihr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Beckett
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war immer noch zu schwach, um aufzustehen. Lisa stand ganz alleine da.
    »Wir müssen sie woandershin bringen«, sagte sie leise. »Irgendwohin, wo sie sie nicht finden, falls sie noch mal zurückkommen. Wir könnten sie begraben und die Stelle markieren. Für später. Für die Polizei.«
    Keiner widersprach.
    »Und wo?«, fragte Rebecca.
    »Was ist mit Jonathans Idee? Unter dem Geröll.«
    »Da kann man sie später leicht finden.«
    »Gut.«
    Dann warteten wir und hofften, dass irgendetwas geschah, damit wir das nicht tun mussten. Aber es geschah nichts. Also warteten wir noch ein bisschen und sammelten Kraft. Irgendwann fingen wir dann an. Mit bedächtigen, behutsamen Bewegungen, so wie ein Leichenbestatter. Aber das hier war anders als das, was wir kannten. Kein Tod in würdevoller Stille. Wir waren mitten im Wald an einem steilen Abhang. Das war die grausame Wirklichkeit. Die Leiche war schwer und wir waren müde. Wir trugen sie an den Armen und Beinen, obwohl ihr Kopf auf eine unschöne Art herunterhing. Ich wollte nichts sehen, nichts riechen, nichts hören. Ich wollte nichts davon in meinen Kopf lassen, weil ich genau wusste, dass mich die Bilder nie mehr loslassen würden.
    Bei der Hälfte des Anstiegs versagten meine Kräfte. Ich taumelte und würgte erneut, aber mein Magen war leer. Ich zitterte am ganzen Körper, mir war schwindlig und meine Beine gaben nach. Ich spürte das feuchte Laub an meiner Wange, während mir die Tränen herunterliefen. Das war nicht wahr. Nichts davon war wahr.
    »He, Marko.« Lisa legte die Hand auf meine Schulter und hielt mich fest. »Ist ja gut.«
    »Tut mir leid«, schluchzte ich. »Ich kann das nicht. Ich kann das einfach nicht.«
    »Schon gut. Wir schaffen das schon.«
    Also blieb ich da, die Arme um die Knie geschlungen, und versuchte, an nichts zu denken, während die anderen das taten, was getan werden musste. Ich war ein Versager. Wenn es wirklich darauf ankam, wenn wir alle gemeinsam stark sein mussten, war ich nutzlos. Ich ließ sie im Stich. Und Ms Jenkins auch.
    Als ich endlich wieder aufstand und zu ihnen ging, hatten sie bereits ein flaches Grab in die lose Erde und das Geröll gegraben und waren dabei, die Leiche wieder zuzudecken. Schweigend half ich mit und konzentrierte mich auf das Gefühl der feuchten Erde an meinen Händen.
    »Wir sollten etwas sagen«, presste Lisa hervor, als wir fertig waren.
    »Was denn?«
    »Keine Ahnung. Etwas über sie.« Ich versuchte nachzudenken, aber ich wusste sowieso, dass keine Worte kommen würden. In diesem Moment explodierte ein Schuss über uns. Erschrocken sah ich auf. Da waren sie. Alle drei. Auf dem Weg über uns, keine hundert Meter von uns entfernt. Mag sein, dass Ms Jenkins' Tod ein Unfall gewesen war. Der nächste würde es jedenfalls nicht sein.
    Wir rannten los. Bergab durchs Dickicht. Rebecca an der Spitze. Sie hatte Lisas Rucksack über die Schulter geworfen und ich sah, wie er beim Laufen wild hin und her rutschte. Ich hörte das entfernte Rauschen eines Flusses und das Keuchen der anderen. Und hinter uns hörte ich die Schritte der Männer, die uns verfolgten.

15
    23. April
    Das ist alles, was ich noch habe: ein selbst gemachtes Seil, das ich aus den Fetzen meines zerrissenen Kopfkissens geflochten habe. Nur ein Ding. Genug, um ihn zu erwürgen. Er hat seinen Zug gemacht. Die Frage ist, wer von uns zuerst die Nerven verliert. Heute hat er mich gezwungen, Farbe zu bekennen, und mir blieb nichts anderes übrig, als ein Risiko einzugehen. Jetzt habe ich nur noch diese einzige Chance.
    Heute früh kam die Schwester direkt nach dem Schichtwechsel zu mir. Auf der Station war es noch dunkel und man hörte nur die leisen Geräusche der unruhigen Schläfer. Ich hatte die Schwester noch nie zuvor gesehen. Als ich das Geräusch ihrer Schritte hörte, bin ich sofort aufgewacht. Seit fast drei Wochen habe ich nicht mehr richtig geschlafen. An der Art, wie sie eilig ins Zimmer kam, erkannte ich sofort, dass sie keine Frau war, die sich mit unnötigem Geplauder oder Lächeln aufhielt. Mit gesenktem Kopf erledigte sie konzentriert ihre Aufgaben, während sie versuchte, nicht auf die Uhr zu sehen, und an das halb bezahlte Auto und das nächste freie Wochenende dachte. Wahrscheinlich war ich ihr erster Patient an diesem Morgen und sie musste sich noch auf den vor ihr liegenden Tag einstellen. Deshalb sah sie auch nicht, wie ich vor Schreck die Augen aufriss und mir der Angstschweiß auf die Stirn trat.
    Sie hatte einen

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