Wie Du Mir
Seáns Teller kullern und häufte die Hälfte der Eier daneben auf. Seán hielt den Kopf gesenkt.
Als Dally sich hinsetzte und seinen Brei zu löffeln begann, stocherte der immer noch in seinen Eiern und verrührte sie mit brauner Sauce. Er war noch in Shorts, die Beine wie bei allen seinen Brüdern zu behaart. Sein rechter Fuß stützte sich auf den linken, wippte auf und ab und sein Oberkörper mit ihm.
Dally löffelte weiter. Schweige-Duelle gewann er immer.
„Soll ich dir ’nen Anzug leihen? Deiner sieht aus, als hätte ’n Baby draufgekotzt“, kapitulierte Seán eine Minute später.
„Stimmt, ich könnte einen brauchen. Danke.“
Eine Weile klirrte das Besteck.
„Wie lange bleibste noch in Belfast?“
„Bis Sonntag, früher Nachmittag oder so“, sagte Seán und sah auf. „Hab ja noch ’n Date mit meinem Neffen. Außerdem hat Klein-Bridie bis dahin noch meine Karre. Sie will mit ‚ einer Freundin‘ “, mit dem Zeigefinger zog er sein linkes Augenlid nach unten, „nach Portstewart, und du hast dich anscheinend geweigert, den Kombi herzugeben.“
Dally schnaubte.
„Undankbares Luder. Weißte, zu wie vielen Stechern der sie schon gebracht hat?“
Seán zuckte grinsend die Achseln.
„Wie auch immer. Wenn sie’s zurückbringt, pack ich meine Sachen und ab.“
„Gehst du wieder zurück zu Barbara?“
Achselzucken, die Zweite.
„Noch hab ich den Schlüssel zum Haus. Hab außerdem vor zwei Wochen ’nen Vertrag für ’n Haus draußen am Hafen unterschrieben. Guter Preis. Ist ’n bisschen was daran zu machen, aber wenn du mir hilfst –“
„Darauf solltest du nicht zählen, okay?“
Dallys abrupte Antwort ließ Seán verstummen. Also Kommando zurück.
„Glaubste nicht, dass es noch mal was wird mit Barbara und dir? Sie ist ’n nettes Mädchen, find ich.“
Seán lächelte grimmig, dann schaufelte er endlich etwas von dem Ei in sich hinein. Er kaute, als wäre es altes Brot.
„Ich auch. Aber sie muss ja mit irgendso’nem Studenten vögeln, mit ’ner Brille wie Colagläser.“ Er schüttelte den Kopf, ohne Dally anzusehen. „Hat mehr Zeit für sie und mehr Verständnis für diesen Sozialisten-Schwachsinn. Na klar, weil er keinen Job hat, dieser Versager – wird er auch nie haben mit ’nem beschissenen Philosophie-Studium. Fürs Nachdenken bezahlt werden würd’ ich auch gern. Gut, wenn sie meint, er passt besser zu ihr …“, seine Stimme strauchelte, dann räusperte er sich und stocherte weiter auf dem Teller. „Dann soll sie eben, die dumme Gans.“
Da war sie also, die ganze Wahrheit.
„Schöner Mist, tut mir leid.“
„Kein Problem, bin schon drüber weg.“ Seán machte eine ungeduldige Geste. Nach 30 Sekunden Pause wedelte er mit den Briefen. „Dally, was soll das? Du willst dich doch nicht umbringen oder so was?“ Zum ersten Mal an diesem Morgen sah Seán ihn direkt an.
Dallys wollte zuerst lachen, dann fiel sein Blick auf die Innenseite seiner Unterarme. Buchstaben, aufgefädelt von Narben. Eine logische Frage.
„Ich will bloß wieder in den Spiegel sehen können.“ So hatte er es heute Nacht für Sandra formuliert, so würde er es beibehalten. Nach drei vergeblichen Anrufen in ihrer Dubliner Wohnung hatte er es auf gut Glück im York Hotel versucht. Trotz tiefgefrorener Stimme hatte sie nicht aufgelegt, sondern zugehört und zugestimmt. Ihretwegen ja, sie werde ihn ein letztes Mal treffen, wenn er glaube, das werde ihm helfen, und das trotz der skandalösen Zeit seines Anrufs. Sie habe ihm ohnehin etwas zu sagen. Heute Abend, acht Uhr.
„Was verflucht noch mal heißt das?“ Seáns Zorn kam überraschend.
„Ich will, dass du die mit nach Dublin nimmst und behältst.“
„Wozu? Wie lange?“
„Bis es so weit ist.“
„Geht’s noch ’n bisschen kryptischer? Wann ist was so weit?“
„Du wirst es wissen, oder ich sag es dir. Nimm sie einfach mal mit.“
„Warum sagst du mir nicht, was du vorhast?“
„Weil es besser für alle Beteiligten ist.“
„Ach so, du bestimmst das also?“
„Herrgott Seán, tu mir einfach den Gefallen, okay?“
„Ich hab dir in letzter Zeit viele Gefallen getan, mein Lieber.“
„Das ist der letzte.“
„Na toll. Das soll mich jetzt beruhigen?“
Seán schleuderte die Gabel von sich, verursachte eine Mini-Explosion aus Ei und brauner Sauce.
„Komm schon, reg dich ab.“
„Abregen?“, wechselte Seán ins Falsett. „Du hast Nerven. Hättest du dich jemals abgeregt, müsstest du jetzt keine
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