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Wie Du Mir

Wie Du Mir

Titel: Wie Du Mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Dunne
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war unangemessen laut, als hätte er getrunken. „Wir mussten sein Gesicht rekonstruieren lassen“, er zeigte hinter sich auf den geöffneten Sarg, und da lag Rory. Oder besser gesagt, etwas, das wie eine Rory nachempfundene Schaufensterpuppe aussah.
    „Dad, hör auf“, Liam machte einen ungeschickten Versuch, Conor mit dem Arm von Dally weg zu dirigieren. Der entzog sich, schwer atmend.
    „Es gibt keinen Anstand mehr. Nirgendwo, wo die Briten auftauchen, gibt es einen Funken Anstand.“
    „Ist ja gut“, murmelte Liam.
    „Marie tut’s leid, dass sie erst morgen kommen kann“, wechselte Dally das Thema. Tatsächlich hellte Conors Gesicht sich auf – eine Wirkung, die Marie auf jeden hatte. „Ben hat Fieber. Sie musste bei ihm bleiben.“ Der Bericht klarer Fakten erleichterte es Dally, das Wort an Conor und Liam zu richten.
    „Wie schön, dass ihr euch wieder näherkommt“, sagte Conor tränenschwer.
    Der Knoten im Hals blähte sich auf; Dally umarmte Conor, ohne sich um Liam zu kümmern, schlug ein Kreuz vor Rorys Sarg. Die hochglanzpolierte Eiche glänzte im Schein des Kronleuchters aus Kunststoffkristallen.
    Er wandte sich ab. Vorbei an den Blumen, die langsam verrotteten, wie um sich mit Rory zu solidarisieren, an den irischen Fahnen und dem Tisch mit den Fotos. Auf den meisten war Rory ernst, heroisch, die Brauen in Konzentration gerunzelt. Manchmal zog er groteske Grimassen, um sein Umfeld zu unterhalten. Auf einem entdeckte Dally sich selbst: die Sullivan-Zwillinge und die Ferguson-Brüder; alle in ihren grauen Schuluniform-Shorts, in James-Bond-Pose, mit zur Brust gepressten Zeigefinger-Revolvern. Alle imitierten sie Connerys sardonisches Halblächeln – außer Seán, der es wie immer nicht aushalten konnte und die Backen zu einem Lachen aufblies.
    Der Knoten wuchs weiter. Dally teilte den Vorhang zur Küche, klickediklickediklick, die Perlen farbloser als früher. Sandwich-Schnitten, Früchtekuchen, Thermoskannen mit Tee, kauende Menschen mit Gläsern in der Hand, die sich Anekdoten über Rory erzählten.
    Entschuldigung – Darf ich? – Verzeihung – ein Reigen an erstaunten, missbilligenden Gesichtern. Auch seine Eltern zogen an ihm vorüber. Die Gesichter anfangs erfreut, dann irritiert, dann besorgt.
    Was hast du getan?
    Dally drängte sich durch die Leute. Der Knoten hinderte ihn am Atmen. Er musste weg, etwas tun. Hinaus auf die Straße, noch immer voll von Menschen, die sich, befreit von der Last, mit so viel Trauer in einem Haus eingesperrt zu sein, nun animierter miteinander unterhielten. In den angrenzenden Häusern war es dunkel. Ihre Bewohner hatten sich bei den Sullivans versammelt, wie um das Loch an Leben zu stopfen, das dort entstanden war.
    Was hast du getan?
    Dally bog in die nächstbeste Häuserzeile ein und begann zu schluchzen. Der Asphalt unter ihm glänzte von einem vorangegangenen Schauer. In den Wolkenfenstern standen Sterne. Seine Stimme hallte von den Mauern wider. Fremdartige, tierische Laute. Er lehnte sich zurück, das Profil der Backsteine im Rücken, und hockte sich schließlich hin, die Arme auf die Knie gestützt, die Stirn auf die Unterarme und weinte, bis er zu erschöpft dazu war.
     
    Ausgerechnet Seán fand ihn. Eine unangezündete Zigarette zwischen den Lippen, starrte er auf ihn hinab, sein Daumen ließ den Deckel seines Zippo-Imitats auf und ab klackern, ohne eine Flamme zu erzeugen.
    „Wie siehst ’n du aus? Haste hier geschlafen?“
    Alles in Dally fühlte sich geschwollen an. Augen, Hals, Hirn.
    „Verschwinde.“
    Seán schien amüsiert.
    „Den Teufel werd’ ich. Alle sind gegangen. Wie komm ich denn nach Hause?“
    Er bot Dally seine Hand an und half ihm beim Aufstehen.
    Mit dem Kinn deutete er auf Dallys Jackett-Ärmel voll getrocknetem Rotz.
    „Den musste wohl reinigen lassen.“ Kein Vorwurf. Keine Verachtung. Als Dally nicht antwortete, zuckte er die Achseln. „Na, es gibt Schlimmeres.“
    Vor dem Auto nahm er Dally die Schlüssel ab.
    „In dem Zustand solltest du nicht fahren.“
    Seine Fahne roch übel. Dally war es egal, solange Seán ihn nur während der Nachhausefahrt in Ruhe ließ. Und das tat er.
     
    Sein eigener Aufschrei holte ihn aus dem Schlaf. Eine Weile saß er und wartete, bis sich die Faust um sein Herz gelockert, sein Puls sich beruhigt hatte. Die Albträume saßen wieder in der dunklen Ecke seines Unterbewusstseins und warteten kichernd auf seine Rückkehr. Schweißnass klammerte sich sein T-Shirt an seinen Rücken

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