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Wie Du Mir

Wie Du Mir

Titel: Wie Du Mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Dunne
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dafür interessierten sich die Bilder nicht. Und weil im Halbschlaf Augenlider keine Rolle spielten, konnte er sich nicht abwenden. Sein persönliches Clockwork Orange.
    Den Anfang machte der Polizei-Portier von heute Morgen, grotesk verdreht auf dem Gehsteig, der versuchte, ein paar letzte Silben zu artikulieren.
    Dally war inzwischen zu träge, um die Bilder noch aufzuhalten, die jetzt aus allen Winkeln seines Unterbewusstseins drängten.
    Zum Beispiel Mick McGrath, sein alter Grundschulkumpel. Sonntagabends. Er stand in der winzigen Wohnschlafbadeküche von Dally und Marie, in der Hand ein in Zeitungspapier gewickeltes Bündel.
    „Das ist deine Chance, endlich mal was zu tun , Dally. Biste nicht auch dafür, dass wir die britischen Hunde endlich rausschmeißen?“
    „Schon, aber …“
    „Willste ewig einer dieser Tresen-Republikaner bleiben? Ist Bobby Sands ganz umsonst gestorben? Oder haste Angst vor deiner Protestanten-Mami? Komm schon, ist ’ne sichere Sache, sonst würd’ ich dich nie drum bitten.“
    „Aber morgen hab ich Prüfung …“
    „Hey, das stört dich sicher nicht beim Lernen, du beschissener Streber. Wenn schon nicht für die Sache, dann mach’s für mich, okay?“
    Tu’s nicht Dally, wenn dich die Briten erwischen, bist du dran.
    Immer, wenn die Stimme der Vernunft einen ihrer seltenen Auftritte in seinem Kopf hatte, klang sie nach Marie. Aber die war über Nacht Babysitten bei ihrer Schwester.
    „Gib schon her, Mann.“
    Das Paket war schwerer als gedacht. Kälte lauerte unter dem Papier.
    „Das werd’ ich dir nie vergessen, Dally. Das ist dein erster Beitrag zur Bewegung.“
    „Aber nur die eine Nacht, ich will keinen Ärger mit Marie.“
    Mick winkte ab.
    „Kein Problem.“
     
    Gleich daneben das Bild der grünen Anzeige auf dem Radiowecker.
    03.12.83 – 3:42. Da hatten die Bullen die Tür zu ihrer Wohnung eingeschlagen. In Sekunden hatten sie ihn am Boden, pressten die Läufe ihrer Gewehre gegen seine Wange, in die Rippen, gegen das Knie. Kaum die Hälfte der Mannschaft, die sie geschickt hatten, fand Platz in der Wohnung. Die Waffe fanden sie trotzdem. Eine neun Millimeter Smith & Wesson, sagte man ihm später.
    Paragraf 14 Absatz 1 blabla, Antiterrorgesetz, blablabla, Ausführung oder Vorbereitung von terroristischen Aktivitäten blabla, rezitierte eine Stimme von oben, Recht, Aussage zu verweigern, und so weiter und so fort.
    Es war wie in den Räuber-und-Gendarm-Spielen seiner Kindheit. Da war er immer auf der Seite der Guten gewesen.
    „Aber ich hab morgen Prüfung.“ Für den Einwand wollte er sich jetzt noch ohrfeigen.
    „Keine Angst, du darfst jetzt sieben Tage lang Fragen beantworten – in Castlereagh“, sagte einer, während die anderen brüllten vor Lachen.
    Der Bulle hatte nicht ganz recht behalten. Nach vier Tagen hatte Dally gestanden.
     
    Da drüben war noch ein anderes Bild. Eine Zelle, gerade drei große Schritte lang, drei kleinere Schritte breit. Angeketteter Tisch, angeketteter Stuhl.
    Fragen nach Mick, seinen Eltern, Marie, aber vor allem nach Unbekannten und was deren Pläne waren, wie er ins Bild passte – und seine Waffe, woher kam die?
    Dally hatte geleugnet, zurückgeschrien, geflucht, geheult und am Schluss nur noch den Kopf geschüttelt, aber Mick nicht verraten. Verrat war der Tod jeden Ehrgefühls, das niedrigste aller Verbrechen, und an seinem Freund wollte er das nicht begehen. Niemals. Egal, was er tat – er war in jedem Fall dran. Immerhin hatten sie die Waffe bei ihm gefunden. Wenn er Mick verriet, würden sie ihn einkassieren und Dally trotzdem ins Loch werfen. Also lieber in Ehre untergehen. Der Beginn einer Karriere des Schweigens.
     
    Das Gesicht des Detectives, der die Nerven verloren hatte. Er hatte ausgesehen wie einer von diesen amerikanischen Sondertruppen, nur kleiner, mit Glatze und satellitenschüsselartigen Ohren. Er zerrte Dally von seinem Stuhl, drängte ihn in die Ecke und riss ihm den rechten Arm auf den Rücken.
    „Jetzt werden wir mal dafür sorgen, dass du kleiner Mistkäfer redest.“
    Sein heißer Atem roch nach Pfefferminz-Bonbons und etwas Faulem. Der zweite verhörende Detective stand mit verschränkten Armen in der Ecke und beobachtete das Schauspiel, holte ein Taschentuch aus der Hosentasche, schnäuzte sich geräuschvoll. Keine Eile.
    „Faschistischer Wichser“, hatte Dally sein damaliges Lieblingsschimpfwort verwendet und sich wie der unbeugsame Held gefühlt, der er schon als Kind hatte sein wollen.

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