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Wie Du Mir

Wie Du Mir

Titel: Wie Du Mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Dunne
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einem Verkehrsschild. Erste silbrige Fäden im schwarzbraunen Gestrüpp seiner Haare, skeptische Mundwinkel, kurz vor der Scheidung. Kaum zu glauben, dass er im November erst 30 wurde.
    „Siehst ganz schön alt aus, Alter.“
    Der Mann im Spiegel verzog darüber den rechten Mundwinkel zu einem Quasi-Lächeln. Ein erster Erfolg.
    Dem Geruch von gebratenen Eiern und Würstchen folgte er nach unten in die Küche. Rory hing bereits über seinem Teller und schaufelte, ohne aufzusehen.
    Geraldine lächelte ihn an. Es war geborgte Sympathie, das wusste er, doch nichts brauchte er im Moment mehr als den Anschein von Normalität.
    „Siehst aus, als könntest du das ganze Programm vertragen, Schätzchen“, sagte sie. „Ich hab Schinken, Würstchen, Tomate, Kartoffelbrot und Blutwurst zur Auswahl. Willst du von allem etwas?“
    Er nickte, und sie lächelte wieder. Bei älteren Frauen war er immer gut angekommen.
    „Vielen Dank, Misses.“ Er griff nach der Kanne mit den rosaroten Röschen. Während er sich Tee eingoss, begann es in der rechten Hand plötzlich zu kribbeln. Taubheit kroch in seine Fingerspitzen nach unten, bis zur Handfläche. Mist, warum gerade jetzt? Die Tasse neigte sich wie leckgeschlagen nach rechts, fiel.
    Das Klirren von Keramik auf Fliesen schien jedes andere Geräusch im Haus verstummen zu lassen. Sogar das Radio machte eine Pause. Zwei Augenpaare richteten sich auf ihn.
    „Tut mir leid, ich … ich …“
    Jetzt bloß nicht rot werden. Er bückte sich, um die Scherben aufzuheben.
    „Hast du dich verletzt, kann ich was tun für dich?“
    Geraldine sah ihn fürsorglich an, den Teller mit seinem Frühstück in der Hand.
    „Ist okay“, murmelte er, entsorgte die Scherben in den Mülleimer, den sie ihm anzeigte, und setzte sich demonstrativ an seinen Platz.
    Noch immer kein Teller mit dem rettenden Frühstück, also pfählte er eines von Rorys Würstchen mit der Gabel.
    Der bemerkte den Diebstahl gar nicht. Seine Empörung nahm ihn voll und ganz in Anspruch. Dallys warnender Blick, die Spätfolgen seines Polizeigewahrsams nicht zum Thema zu machen, wurde prompt missinterpretiert.
    „Seine lahme Schulter ist ’n kleines Andenken daran, was man in Castlereagh von Menschenrechten hält, Misses“, stieß Rory gemeinsam mit Bröckchen von Sodabrot-Brei aus.
    „Das tut mir leid“, sagte Geraldine, wie um eine allgemeine Erwartung zu erfüllen. Castlereagh war ein Sinnbild des Grauens für jeden aufrechten Republikaner. Misshandlungen, psychologische Folter, siedendes Öl. Jeder hasste das Belfaster Verhörzentrum, vor allem jene, die nie dort gewesen waren. Zustimmend nickte Rory und öffnete noch einmal den Mund, doch Dally stoppte ihn mit einem lautlos formulierten „Halt die Klappe“ und sprang stattdessen selbst ein.
    „Vergessen Sie’s, Misses. Das ist lange her.“
    Das klang abweisender als beabsichtigt. Geraldines Lächeln kühlte merklich ab und sie bückte sich, um den Rest der Scherben aufzuwischen.
    Voller Erfolg, Mann. Von 100 auf 0 in nur zwei Minuten, das ist neuer Rekord.
    Zumindest stand sein Frühstück jetzt endlich vor ihm. Wortlos schlang Dally alles hinunter, was ihm vorgesetzt worden war, wich jedem Augenkontakt mit Rory und Geraldine aus. Hoffentlich war Liam bald da.

Zu neuen Ufern
     
    Superintendent O’Toole hob seine Geiernase nur kurz aus dem Schichtplan, der vor ihm auf dem Schreibtisch lag.
    „Setz dich doch bitte, Will.“
    Er wies auf den Stuhl ihm gegenüber und vertiefte sich wieder in seine Lektüre, führte seinen Zeigefinger an Namen entlang, als läse er Hieroglyphen.
    Will ließ sich nieder. Ein neuer Stuhl, schwarz bespanntes Stahlrohr. O’Tooles minimalistische Möbel standen im krassen Gegensatz zur Spanplatten- und Linoleumästhetik der Polizeistation. Über die Designverliebtheit von Wills Vorgesetztem wurde in Castlereagh immer wieder gespottet. Sich von der Masse abzuheben war nicht gerne gesehen.
    Will störte eher, dass er offensichtlich zu fett für den Stuhl war. Die kalten Stahlrohre pressten sich fast schmerzhaft an ihn.
    Jenny hatte peinlich genau auf seine Figur geachtet, dass das Verhältnis von Kohlehydraten und Proteinen in ihrem Essen ausgewogen war, dass genug Grünzeug auf den Tisch kam, nicht zu viel Schokolade im Haus war. Seine Liebe zu allem aus Teig hatte sie verurteilt und seine Alkohol-Zufuhr argwöhnisch beobachtet. Im Gegensatz zu anderen Männern hatte er in ihrer sechsjährigen Ehe, wenn auch unfreiwillig, konstant 180

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