Wie Du Mir
Erwartungen innerhalb kürzester Zeit in den Schlaf begleitet. Sechs Stunden gnädige Bewusstlosigkeit. Jetzt fühlte er sich seltsam erfrischt.
„Bild’ dir ja nicht ein, dass das jetzt zur Gewohnheit wird, du Parasit.“
Faye drehte ihren Kopf gelangweilt zur Seite. Sie schien zu wissen, dass Wills Widerstand gebrochen war.
Kaum saß er in seinem Auto, verflüchtigte sich seine unnatürliche Ruhe. Lampenfieber stieg in ihm auf, so wie vor jeder wichtigen Vernehmung. Dabei war Seán Patrick Ferguson auf dem Papier eine ideale Aufwärmrunde für den Tagesbeginn. Kein terroristischer Hintergrund, bis gestern noch nie auf dem Radar des Special Branch. Sein Bruder war seine einzige nachweisbare paramilitärische Verbindung. Und die Tatsache, dass er bei Callahans Begräbnis sowohl als Sargträger als auch als Retter eines jugendlichen Unruhestifters, möglicherweise eine weitere Ausgeburt des Ferguson-Clans, in Erscheinung getreten war. Wenn er so unbedarft war, wie Will es vermutete, würde das nicht länger als ein paar Stunden dauern. Die einzige Herausforderung waren seine Familienbande. Doch das würde er aushalten müssen. Er hatte es sich vorgenommen. Schon allein, um sich keine Blöße vor Oliver Owens zu geben.
Das Verhörzentrum war nicht mehr als eine lang gestreckte Baracke, eingezäunt von einem dichtmaschigen Drahtkäfig. Mit wiegenden Schritten begleitete Kenny Lewis, der wachhabende Sergeant, Will und Oliver den Gang hinunter, der große Schlüsselbund an seiner Rechten klimperte disharmonisch. Hinter einer dieser hellgrün gestrichenen Metalltüren war er Dallas Ferguson zum ersten Mal begegnet. Seine Erinnerungsfetzen an jenen Tag, damals kaum mehr als Routine, hatten sich noch immer nicht vervollständigt.
Der Raum, den Kenny Lewis ihnen öffnete, hatte kein Fenster, aber einen Tisch mit Aschenbecher, drei Stühle – zwei vor, einer hinter dem Tisch. Gleich dahinter, wie ein aufdringlicher Kellner, die Barackenwand.
In der Lücke dazwischen stand Seán Ferguson, die Hände in den Hosentaschen, und sah sie unverwandt an, als erwartete er, dass sich in den nächsten Minuten ein großes Missverständnis aufklärte. Auf den ersten Blick sah er seinem Bruder so ähnlich, dass Will Mühe hatte, seinen Mund geschlossen zu halten. Nach einigen Sekunden wurde das Bild klarer. Die Haare besser frisiert, die Augen auffallend grün, die Züge einen Tick jungenhafter, der Blick nicht abwartend, sondern irgendwie schlitzohrig. Einer, der gut bei Frauen ankam und sich dessen bewusst war. Den Anzug von den Fotos in Wills Akte hatte er wieder an. Dazu ein hellblaues, ungebügeltes Hemd, das er sich sauber in die Hose gesteckt hatte. Die Gerüche von Alkohol, Parfum und etwas Gewürzartigem kämpften um die Vorherrschaft im Raum, und alle drei schienen aus seiner Richtung zu kommen.
„Guten Morgen, Mister Ferguson.“ Olivers Bariton gewann durch die Beengtheit des Raumes eine überraschende Resonanz, und wie um dem Platz zu machen, nickte Will Ferguson nur zu und umgekehrt.
„Setzen Sie sich erst mal.“
Widerstrebend folgte Ferguson Wills Aufforderung und ließ sich auf den neben ihm stehenden Stuhl plumpsen, ohne die Hände aus den Hosentaschen zu nehmen. Er wirkte plötzlich nervöser, als wäre ihm soeben bewusst geworden, dass sich diese Angelegenheit weniger schnell klären würde als erhofft. Sein Blick pendelte fortwährend zwischen Will und Oliver, um die beiden Unbekannten zu taxieren, Chancen einzuschätzen.
Sie begannen mit den üblichen Auflockerungsübungen, stellten sich Ferguson vor, klärten ihn über seine Rechte auf, was dieser regungslos hinnahm. Nur bei dem Teil, dass ihm ein Telefonanruf frühestens nach zwei Tagen gestattet sei und er, wenn es nötig war, noch weitere fünf Tage in Polizeigewahrsam bleiben werde, verrutschte seine gefasste Miene. Danach beantwortete er sorgfältig artikuliert Olivers Fragen nach Name, Adresse, Arbeitgeber, seit wann er in Dublin wohne. Will fiel sein südlich gefärbter Akzent auf, unter dem bei jeder Konzentrationslücke der schwerfällige Belfaster Mutterdialekt auf sich aufmerksam machte.
„Seit wann halten Sie sich in Nordirland auf?“
„Seit Dienstagabend.“
„Haben Sie auf dem Weg irgendwelche Zwischenstopps eingelegt?“
„Warum sollte ich das tun?“ Ferguson spähte einen Sekundenbruchteil zum Diktiergerät, dann zu Will, versuchte, dessen Notizen zu entziffern.
„Das sollten Sie uns erklären, nicht fragen, Mister
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