Wie Du Mir
war grau – Hinterhof, Himmel, die Mauer des angrenzenden Hauses.
All die unerwünschten Bilder drängten sich wieder in sein Bewusstsein – Ziel Nummer fünf; Florida Drive; Marie, die auf der Couch im Wohnzimmer ihrer Schwester übernachtete, müde und ausgelaugt. Heute Nacht hatte er sie betrogen mit einer Amerikanerin. Zu drei Vierteln, aber immerhin. Er betrog seine Frau.
Am Esstisch stapelten sich Zeitungen und Magazine. Intellektuellenzeugs. Economist, Time Magazine, der Guardian. Dazu Immobilienfachblätter, nicht nur von der Republik Irland, sondern auch vom Norden. Dally fiel ein, dass sie kein Wort über Sandras Beruf gewechselt hatten. Irgendwas mit Häusern, das stand fest. Wenn sie ihm die Chance gab, würde er es nachholen, auch wenn er ahnte, dass es die Kluft zwischen ihnen nur vergrößern würde. Sandra und er kamen von verschiedenen Planeten; um das herauszufinden, brauchte er keine tiefsinnige Unterhaltung zu führen.
Leg lieber Handbetrieb ein, war das nicht Seáns Kommentar dazu gewesen? Der würde durch die Decke gehen, wenn das je rauskam. Natürlich würde er überzeugt sein, die ganze Geschichte mit Sandra sei ein weiterer von Dallys Sabotageakten, um seiner Karriere zu schaden. Von Colm mal ganz abgesehen. Der würde ihn rausschmeißen und einen anderen Arbeitssklaven ausfindig machen. War vielleicht besser so. Jeder hatte seinen Platz, und –
„Hey, du bist ja noch da …“, Sandras Stimme war schlaftrunken, ihre Stirn gerunzelt, aber sie lächelte. Das war ein Anfang. Er zuckte die Achseln.
„Ich dachte, du willst vielleicht noch ’n gemeinsames Aspirin-Frühstück.“
Sie lächelte schwach.
„Das wär’ nicht schlecht.“
„Wo find’ ich die Zutaten?“
Jetzt bloß nicht zu erfreut klingen.
„Sie liegen auf der Mikrowelle, in der indischen Tonschale.“
Sie erhob sich, schüttelte den zerknitterten Blazer von sich ab und verschwand ins Bad.
Als sie zurückkam, trug sie ein T-Shirt, das verblüffende Ähnlichkeit mit den Unterhemden seines Vaters besaß, Jeans und einen im Nacken gebundenen Pferdeschwanz. Sie legte ein sauber gefaltetes, rot-gelb kariertes Flanellhemd auf den Stapel von Zeitungen am Tisch.
„Das leih ich dir, wenn du willst.“
Er zögerte.
„Gehört das deinem Freund?“
Sie schmunzelte.
„Solche Fragen sollten verheiratete Männer nicht stellen.“
Sein Daumen tastete nach seinem Ringfinger. Metall. Er reichte ihr ein Glas Wasser.
„Meine Frau will sich scheiden lassen.“
Ihr Lachen hatte jetzt etwas Bitteres.
„Na klar, das tun sie doch immer.“
Sie verstummte und sah an ihm vorbei, hinaus in den Innenhof, ihre Augen plötzlich blau wie das Meer, wie es immer in Reiseangeboten aussah.
Er prostete ihr zu.
„Na dann Sláinte, auf den unvergesslichen gestrigen Abend.“
Der Scherz zog ohne Effekt an ihr vorüber, und sie leerten beide ihre Gläser in einem Zug. Trotzdem fühlte sich Dallys Zunge pelzig an. Er sah, dass es Sandra genauso ging. Ungeschminkt wirkte sie irischer als mit Make-up, und ihre schmalen Hüften und der kleine, feste Hintern waren der Hammer in Jeans.
Plötzlich fühlte er sich unangebracht nackt in Sandras Gegenwart, und er griff nach dem Flanellhemd ominöser Herkunft. Am Ende spielte es wohl keine Rolle, ob Sandra und er jeweils andere Partner hatten. Es war nichts geschehen, und die Chancen auf eine Wiederholung des gestrigen Abends standen denkbar schlecht. Also was sollte es? Es war ein schöner, unvollendeter Abend gewesen, mehr nicht.
„Was ist das denn?“
Sie kam näher und berührte mit ihrem orangefarbenen Zeigefingernagel die Innenseite seines rechten Unterarms, als säße dort ein exotischer Käfer, den sie aufscheuchen wollte.
„Noch nie ’ne Tätowierung gesehen?“ Er krempelte auch den anderen Ärmel nach oben.
„Das Kreuz an der Schulter hab ich gesehen. Aber nicht die. Ungewöhnliche Stelle.“ Ihre Fingerkuppe glitt auch über die Innenseite seines linken Unterarms. „Das sind gälische Schriftzeichen, nicht? Was heißt das?“
„Ist ’n altes Sprichwort.“
Sie roch so gut. Als wäre der Rauch im Club an ihr abgeperlt, während er sich in jeder seiner Poren eingenistet hatte.
„Was bedeutet es?“, drängte sie.
Dally wurde warm, und er räusperte sich.
„Wer wegläuft, wird bis zu jenem Tag leben, an dem er kämpfen muss.“
„Das heißt, auch der Feigling muss irgendwann ran … interessant“, Sandra klang befremdet. „Wie bist du darauf gekommen?“
Sie sah
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