Wie Du Mir
Sandra sich einen Ruck, „warum bist du eigentlich auf diese Party gekommen? Dir gefällt’s doch gar nicht.“
Dally grinste. Offenbar zu viel Alkohol, auf beiden Seiten.
„Deinetwegen.“ Sie lächelte gelassen, räusperte sich. Jetzt oder nie. „So einen wie mich hätte er doch nie eingeladen, wenn du ihn nicht dazu gezwungen hättest. Und jetzt bin ich hier, der uuunheimliche Typ aus dem Norden.“
Seine Grimasse schien Sandra zu gefallen. Sie kicherte hinter ihrer Hand, die Zigarette zwischen die erstaunlich robusten Finger geklemmt, bemüht, nicht zu viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
„Findest du mich auch unheimlich?“
Wieder lachte sie, diesmal wirklich über ihn.
„Wie kommst du auf so was?“
Dally hob die Schultern, und sie studierte ihn eine Weile wie ein mysteriöses Forschungsobjekt.
„Blödsinn. Du kommst ’n bisschen eigenartig rüber, weil du im Gegensatz zu den meisten hier den Mund kaum aufmachst. Außerdem könntest du mehr lachen. Das steht dir nämlich.“
Er fletschte die Zähne.
„Vielleicht hab ich nicht viel zu lachen, junge Frau.“
Jetzt grinste sie, ließ die Zigarette fallen. Die Kieselsteine knirschten unter ihren Absätzen, während sie den Stummel austrat. Rauch stieg ihr aus Mund und Nase.
„Vielleicht ist heute eine Ausnahme, junger Mann.“
Sie beugte sich zu Dally, mit ihren hohen Absätzen kaum kleiner als er, und küsste ihn mit der Selbstverständlichkeit einer Frau, die wusste, dass sie die Spielregeln bestimmte. Noch nie hatte das jemand mit ihm gemacht, und sein Verstand wollte sich vor Schreck zurückziehen. Doch sein Verstand hatte schon lange nicht mehr das Sagen.
Als er aufwachte, schmeckte es in seinem Mund nach Tage altem Haushaltsmüll. Sein Kopf ein mit Sand gefüllter Ballon.
Neben sich hörte er den raschen, regelmäßigen Atem einer Frau, und das erinnerte ihn an den Teufel, der ihn gestern Abend geritten hatte.
Er war Sandras Spielregeln gefolgt. Hatte sie zurückgeküsst und ihren Vorschlag angenommen, sich ein Taxi in die Stadt zu nehmen, dort gebe es einen Club, in dem man tanzen könne.
Sein Leben lang hatte er weder Lust noch Talent zum Tanzen gehabt. Die meiste Zeit hatte er sich deshalb von Sandras Bewegungen hypnotisieren lassen, ihr Drinks gekauft und jene ausgetrunken, die sie ihm besorgte. Ihre wiegenden Hüften machten ihn schwindlig, und ihre Stimme kitzelte in seinem Ohr, wenn er sie während ruhigerer Songs auf der Tanzfläche an sich zog. Sie sprachen wenig. Irgendwann hatte er die Farbe ihrer Augen definieren können – irgendetwas zwischen Blau und Grün. Wunderschön.
Sie hatte ihn schließlich gefragt, ob er sie nach Hause bringen wollte, und natürlich wollte er nichts mehr als das, den ganzen Abend schon. Sie hatten es beide noch in ein Taxi geschafft, irgendwelche Treppen hinauf, und danach wusste er nichts mehr.
Die Horrorvisionen von einem fehlgeschlagenen Sexversuch – seine Dauererektion des Abends im entscheidenden Moment erschlafft – ließen ihn jetzt die Augen öffnen.
Da lag Sandra neben ihm, noch immer in ihrem grünen Kostüm, das Gesicht ihm zugewandt, Lippen leicht geöffnet. Sein Hemd war bis auf Magenhöhe aufgeknöpft, der rote Wulst der Operationsnarbe ragte daraus hervor, die für die Operation rasierten Haare noch nicht vollständig nachgewachsen. Weiter waren sie nicht gekommen.
Verdammt. Wie viele Gelegenheiten vergeigte er noch in seinem Leben?
Er betrachtete Sandras schlafendes Gesicht. Unter ihren Lippen, auf der cremefarbenen Tagesdecke, hatte sich ein feuchter Speichel-Punkt gebildet. Ihre Haare waren verschwitzt und zu Strähnen getrocknet. Keine Spur mehr von Ordnung, und er fand sie gerade in diesem Zustand so schön, dass er sie ständig ansehen wollte. Stattdessen richtete er sich schwerfällig auf und stellte fest, dass es gerade mal neun Uhr war. Er fühlte sich besser als befürchtet. Und er musste mal dringend.
Sandras Apartment war großzügig, doch das Badezimmer hatte höchstens vier Quadratmeter. Kein Aftershave, keine überzählige Zahnbürste, kein hinter den Spiegel geklemmtes Foto, das sie in den Armen eines Schnösels wie Colm zeigte. Zumindest eine Erleichterung.
Er schnüffelte an Seáns widerlichem Hemd. Gefüllter Aschenbecher. Er legte es auf den Rand der Badewanne. Nächste Station, Küche. Ein schmales, hohes Fenster schaute hinaus auf einen Hinterhof, in dem Bettwäsche mit zart-gelbem Rosenmuster im Wind hin und her wogte. Alles andere
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