Wie Du Mir
ihn an, als wollte sie ihre Analyse jetzt in seinen Augen fortführen. Er entzog ihr seinen Arm, wandte sich ab und füllte ihre Gläser noch einmal mit Wasser. Das Aspirin und die Erinnerung brannten und kribbelten in seinem Magen.
„Ich war Anfang 20 und wollte mir eben was beweisen.“ Und die Narben überdecken. Selbstmord war nichts, worauf man stolz sein konnte – schon gar nicht, wenn es nicht klappte. „Ich dachte, das kann ich nur, wenn’s wehtut.“
Sandra verzog schmerzerfüllt ihr Gesicht. Er wollte es zwischen seine Hände nehmen und küssen, wie er es gestern getan hatte. Dieses Gesicht ansehen, dieser Stimme zuhören, die ganze Zeit.
Sie erwiderte seinen Blick nur zögernd. Ihre Selbstsicherheit vom Vorabend hatte sie gemeinsam mit ihrem perfekten Styling abgelegt.
„Hör mal, das gestern Abend …“
„Mir egal, was gestern Abend war. Heute ist heute.“ Er strich ihr die kurzen Haarsträhnen, die sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst hatten, hinter das Ohr, machte einen Schritt auf sie zu. Sie wich nicht zurück.
Letzte Chance
Wenn Pat ‚der Chief‘ Doherty nach seinen Freiwilligen verlangte, taten sie gut daran, zehn Minuten früher am Treffpunkt aufzutauchen als vereinbart. Liam Sullivan wusste das nur zu genau. Deshalb zögerte er keine Sekunde, als er Dohertys Stimme aus dem Telefonhörer raspeln hörte, den ihm Maureen entgegenhielt.
Maureens Blick war er rigoros ausgewichen. Er wusste, dass er für diese Entscheidung würde büßen müssen. Verschlossene Badezimmertüren, Heulkrämpfe und vielleicht sogar wieder einer ihrer halbherzigen Selbstmordversuche, mit denen sie vor Kurzem begonnen hatte. Angeritzte Handgelenke, ein paar der Antidepressiva zu viel auf dem Nachttisch. Sie machte den Mädchen Angst, warum tat sie das immer wieder?
Ma redete ihm seit Monaten zu, Maureen in psychiatrische Behandlung zu geben, und inzwischen spielte er tatsächlich mit dem Gedanken, es zu tun – sie endlich loszuwerden.
Dabei war Ciaras Geburt ganz normal gewesen, ohne Komplikationen, einfach ein zweites Kind, eine gesunde Tochter, und für einen Tag waren sie alle glücklich gewesen. Dann waren die Depressionen gekommen. Und geblieben.
Heute war Maureens 33. Geburtstag. Auf Liams Drängen hatte sie ein wenig Make-up aufgelegt. Sie sah hübsch aus, und die Mädchen lachten so unbekümmert neben ihr wie schon lange nicht mehr. Rory meinte sogar, es gehe wieder aufwärts mit ihr, diese neuen Pillen würden endlich anschlagen. Der Naivling. Aber allein, dass sie überhaupt ans Telefon gegangen war, glich einem Wunder und war das Geld wert, dass sie Monat für Monat verschluckte.
Und jetzt dieses Pech mit Doherty.
Zum Glück lag das sichere Haus nur ein paar Minuten Fußmarsch entfernt. Wenn er die Sache schnell klären konnte, würde er wieder da sein, um die Mädchen ins Bett zu bringen und Maureen ihr Geschenk zu geben. Die Kette war teurer gewesen, als er vor seinen Eltern zuzugeben wagte, also hatte er einfach behauptet, der Stein sei ein Kristall.
Eine Horde Kinder spielte vor dem Haus, das ihm Doherty als Adresse angegeben hatte. Die Eingangstür war angelehnt. In der Küche klapperten Töpfe.
„Erster Stock, zweites Zimmer rechts“, sagte eine ernste Frauenstimme.
Im ersten Stock war es ähnlich düster wie unten. Es hatte den ganzen Tag über geregnet und das Licht des Nachmittags verlor sich in der Diele.
Doherty stand mit verschränkten Armen am Fenster, mit dem Rücken zum Eingang und zu Brian Hanlon, der auf einem Stuhl mitten im Raum saß, die Beine wie eine Frau übereinandergeschlagen, die Finger über dem Knie verschränkt. Er sah ‚besorgt‘ aus. Wenn Hanlon ‚besorgt‘ war, dann verhieß das nichts Gutes. Doherty und Hanlon vereint in einem Zimmer verhieß das Schlimmste.
Hanlon blickte mit Stirnrunzeln auf seine Armbanduhr.
„Na endlich.“ Doherty drehte sich um und betrachtete Liam vorwurfsvoll.
Kein. Guter. Tag. Das Zimmer schien geschrumpft zu sein. Wo immer er stand – Doherty und Hanlon waren ihm stets zu nahe.
„Maureen hat Geburtstag. Ich sollte so schnell wie möglich kommen, und hier bin ich. Was kann ich für euch tun?“
Doherty sah aus, als würde er Liam an den Hals gehen wollen, doch die Anspielung auf Maureen ließ ihn wenigstens die Klappe halten.
Hanlon blickte von seinem Platz am Stuhl auf.
„Was ist mit JR los, Liam? Warum ist er nicht aufzutreiben?“
„Ich will ihn hier reingetreten haben, verstanden? Wer glaubt er, dass er
Weitere Kostenlose Bücher