Wie ein boser Traum
hätte er versucht, mich davon abzubringen.«
Ray drehte sich um und leuchtete nochmals mit der Taschenlampe in den Gang.
Emily hielt die Hände kapitulierend in die Höhe. »Lassen Sie sich Zeit; sehen Sie in jedem Raum nach, wenn Sie wollen. Clint ist nicht hier. Nur ich. Er wäre ziemlich dumm, wenn er so etwas täte und schließlich wieder im Gefängnis landete.«
Ray war immer noch nicht überzeugt. Er ging geradewegs auf sie zu, weshalb ihr erneut der Atem stockte, und rüttelte an der Tür hinter ihr. Derjenigen, die zum Raum mit dem Schild »Zutritt nur für Mitarbeiter« führte. Emily wagte erst wieder durchzuatmen, als er den Türknauf losließ und einen Schritt zurücktrat.
»Es ist Ihnen sicher klar, dass ich Sie mitnehmen muss?«
Er sagte das mit so viel Bedauern, dass sie glaubte, er könnte es aufrichtig meinen.
»Tun Sie, was Sie müssen, Ray. Ich glaube an das, was ich tue.«
»Sind Sie sicher?«
Plötzlich war sie zu Tode erschrocken, weil er offenbar anzweifelte, dass sie allein so weit gekommen war. Zwar hatte sie in seine »Negativ«-Spalte nichts eingetragen, doch wer sagte denn, dass nicht er Heathers Mörder war? Allein bei der Vorstellung lief es ihr kalt den Rücken herunter.
»Wirklich sicher«, fügte er hinzu, »dass er unschuldig ist? Ich weiß, dass Ihr Vater Clints Alibi bestätigt hat, aber Sie waren damals im Gerichtssaal absolut überzeugt, dass es Clint war.«
Plötzlich vertrieb Zorn ihren Anflug von Angst. Damals im Gerichtssaal war sie überzeugt gewesen. Aber jetzt wusste sie es besser.
Clint Austin war unschuldig.
Wieso glaubte sein einziger Verbündeter das nicht? Er hatte es doch früher geglaubt, oder? Oder hatte Clint ihm nur leid getan? So oder so, bewies das denn, dass Ray nicht verdächtig war?
»Kommen Sie, Emily, wir gehen.«
Sie entspannte sich. Offenbar nahm er ihr ab, dass sie allein ins Gebäude gekommen war. Er sammelte die Werkzeuge ein, die sie fallen gelassen hatte, und hob den Matchbeutel auf. Hoffentlich befand sich nichts darin, was auf Clint hingedeutet hätte.
Ray begleitete sie zum nächsten Ausgang.
»Ich bezahle für das Fenster, das ich im Büro des Liegenschaftsamts beschädigt habe.«
Als sie draußen waren, sagte er: »Nur um mich zu beruhigen – zeigen Sie mir doch mal, wie Sie hereingekommen sind.«
Sie führte ihn zu dem Fenster und erklärte ihm ihr Vorgehen. »Ich habe mir die Wiederholungen von MacGyver angesehen.« Das war nicht völlig gelogen. Sie hatte sich tatsächlich einige Wiederholungen angesehen. Ihrem Vater hatte die Sendung gefallen.
»Das hier ist kein Spiel, Emily.«
»Doch. Und wer immer die Regeln macht, will nicht erwischt werden.« Und dann stellte sie ihm die folgende Frage, noch ehe ihr gesunder Menschenverstand das verhindern konnte: »Sie machen doch nicht die Regeln, oder, Ray?«
33
Polizeirevier im Rathaus
10.35 Uhr
Er würde das Mittagessen mit seiner Frau verpassen. Er war in letzter Zeit so selten zu Hause gewesen, dass er
sogar etwas so Unwichtiges wie einen Lunch nur höchst ungern absagte. Aber es ließ sich nicht ändern. Das, worum er sich kümmern musste, konnte nicht warten. Ray konnte nur hoffen, dass Sarah Verständnis hätte … möglicherweise.
Ehe er das Rathaus verließ, musste er sich noch um ein kleines Ärgernis kümmern. Er hatte Emily Wallace in den letzten acht Stunden in der Untersuchungszelle untergebracht, in der Hoffnung, dass ihr die Einsamkeit und die Angst davor, was als Nächstes passieren würde, ein wenig Vernunft einflößen würden. Sie musste aufhören, in der Vergangenheit herumzuwühlen, bevor alles nur noch schlimmer wurde. Ihre Unterstützung würde Clint nur noch mehr motivieren, seine Suche fortzusetzen.
Ray hatte angeordnet, Emilys Auto abzuholen und zum Rathaus zu bringen. Es musste aber nicht beschlagnahmt werden. Emily setzte sich ein wenig aufrechter hin, als er sich der Untersuchungszelle näherte. Die Unsicherheit in ihrem Blick verriet ihm, dass sie nicht so tapfer war, wie sie ihn glauben machen wollte. Er hatte ein paarmal nach ihr gesehen; einmal war sie eingeschlafen, im Sitzen, auf der harten Bank. Er wollte ihr das zwar nicht antun, aber er konnte nicht zulassen, dass die Leute einfach in Häuser einbrachen, die dem County gehörten. Emily musste begreifen, dass sie zu weit gegangen war. Er hatte ihren Schritt zwar vorausgesehen, doch jetzt musste endlich Schluss damit sein. Um ihrer und um Clints willen.
Ray schloss die Zelle
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