Wie ein boser Traum
jemand anderes, der Heather kannte, so eine Kette getragen haben.«
»Nein. Nur die …« Emily zögerte. Nein, das war lächerlich.
»Was?«, fragte er, drosselte das Tempo und bog auf die Hauptstraße des Ortes ein.
»Justine.« Emily drehte sich zu ihm um. »Sie hatte eine.«
Wegen des kakophonen Sirenengeheuls eines Streifenwagens blickte Emily zur Straße hinter ihnen. Blaulicht drehte sich.
Clint warf einen Blick aufs Armaturenbrett und ging mit der Geschwindigkeit herunter. »Ich bin nicht zu schnell gefahren. Was will Ray denn jetzt schon wieder?«
»Das ist nicht Ray«, sagte sie, nachdem sie den Mann am Steuer gemustert hatte, der hinter ihnen auf dem Randstreifen hielt.
Mike Caruthers trat aus seinem Dienstwagen und ging mit langen Schritten zur Fahrerseite von Clints Pick-up.
»Steig aus, Austin.«
Die Angst schnürte Emily fast die Kehle zu. Sie beugte sich zu Clint und fragte: »Was ist denn, Deputy Caruthers?«
Er ignorierte sie und bedeutete Clint, auszusteigen.
Clint stieg aus, er hatte die Hände bereits gehoben, weil der Deputy unverkennbar nervös war.
»Sie kommen mit mir aufs Revier, zu einer Vernehmung. Ihr Bewährungshelfer wartet dort schon auf Sie.«
Emily stieß ihre Tür auf und lief um die Motorhaube herum. »Warum wollen Sie ihn aufs Revier mitnehmen? Wo ist Ray?«
Die Zeit schien stillzustehen, während sie auf Caruthers’ Antwort warteten. Die Polizei hatte doch sicher nicht irgendwelche Beweisstücke gefunden, die Clint mit dem Mord an Keith in Verbindung brachten. Sie hatte Ray doch schon erzählt, dass Clint bei ihr gewesen war.
»Wollen Sie mich verhaften?«, fragte Clint schroff.
Deputy Caruthers drehte sich zu Clint um. »Sie haben das Recht, die Aussage zu verweigern …«
»Den Spruch können Sie sich schenken.« Clint trat einen Schritt zurück. »Ich gehe nirgends hin, bevor Sie mir nicht sagen, was zum Teufel hier los ist.«
Erst jetzt bemerkte Emily den blassen, leeren Ausdruck im Gesicht des Deputys. Sie war während der Schulzeit nicht viel mit Mike Caruthers zusammen gewesen, doch jedes Kind hätte sehen können, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmte. Eine panische Angst überfiel sie … von der Art, die mit der Bedrohung durch etwas Unbekanntes einhergeht.
Caruthers griff nach den Handschellen an seinem Gürtel. »Ich nehme Sie mit zu einem Verhör im Zusammenhang mit dem Mord an …«
Emily hielt den Atem an.
»… Ray Hale.«
35
410 Oak Avenue
15.45 Uhr
Troy hatte Angst. Er schleuderte die leere Bierdose mitten durch die Küche und griff in den Kühlschrank, um die nächste rauszuholen. Das Verfallsdatum der Milchpackung, die er zur Seite schob, war abgelaufen. Er knallte die Kühlschranktür zu, dass die Magneten zitterten, mit denen die Kunstwerke der Kleinen daran gepinnt waren. Sein Magen krampfte sich zusammen. Zum Teufel mit allem. Er sah sich in der Küche um. Im Spülstein stapelte sich schmutziges Geschirr. Die ganze Scheißküche sah aus wie ein Saustall.
Patricia hatte ihn verlassen.
Er riss die Lasche von der Dose und trank einen großen, schlürfenden Schluck, rülpste und warf die Dose in die Ecke zu den übrigen. Ein Bier reichte einfach nicht. Er ging zurück zum Kühlschrank, schnappte sich ein neues Sixpack und ging unsicheren Schritts ins Wohnzimmer. Warf sich in den Fernsehsessel und riss die nächste Dose auf.
Wieder stieg der Schmerz in ihm auf, und Troy tat sein Bestes, ihn mit noch mehr Bier runterzuspülen.
Keith war tot. Und er war schuld.
»Scheiße.« Er kippte das restliche Bier in sich hinein und warf die Dose weg. Anstatt nach einer weiteren Dose zu greifen, nahm er die 38er Smith & Wesson zur Hand, die auf dem Beistelltisch neben seinem Sessel lag, und starrte auf den einladenden schwarzen Lauf. Er sollte
sich das Hirn wegpusten, damit hätte sich’s. Sein Leben war vorbei. Er hatte seine Schwester verloren. Seine Frau und seine Kinder. Seinen besten Freund.
Und der Mann, der für das alles verantwortlich war, war auf freiem Fuß. Völlig sorglos, Scheiße noch mal, so, als wäre nichts passiert. Clint Austin war in die Stadt zurückgekehrt und hatte sie aus den Angeln gehoben.
Irgendwer musste sicherstellen, dass er dafür büßte.
Troy lachte in sich hinein. Scheiße, er sagte das schon seit einer Woche, aber er hatte noch immer nichts in der Richtung unternommen, außer ein paar Sachen zerdeppert und ein paar verdammte Fotos zerrissen. Aber er war dadurch bloß besoffener geworden und
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