Wie ein boser Traum
Blick zu, der ihr bestätigte, wie er unter der Last des Geheimnisses gelitten hatte.
»Diese Männer haben mich zu Fairgate gebracht; und er hat mir ein Angebot gemacht, das ich nicht ablehnen konnte.« Er atmete tief durch. »Er hat mir das Geld zurückgegeben, das ich ihm bereits zurückgezahlt hatte, abzüglich der Hälfte des ursprünglichen Kredits, und gesagt, dass ich ihm nichts weiter schulde. Mir war klar, dass er etwas im Schilde führte. Er wollte nicht in die Ermittlungen hineingezogen werden. Wollte nicht, dass die Polizei in seinen Geschäftspraktiken herumschnüffelte. Ich musste nur eins tun: den Mund halten und niemandem sagen, was ich gehört hatte.«
Es stimmte. Jedes Wort. Das Herz rutschte Emily in die Hose; sie war ungeheuer bestürzt.
Ihr Vater erwiderte ihren Blick, den er zweifellos für herausfordernd hielt, und sah Emily ebenfalls herausfordernd an. »Ich habe abgelehnt.«
Hoffnung keimte in ihr auf.
»Ich habe ihm gesagt, er könne das vergessen. Dass ich seinetwegen nicht gegen das Gesetz verstoßen würde. Und dann hat er mir erklärt, wie die Sache laufen würde: Wenn ich den Mund hielte, würde er mir im Gegenzug nicht nur den Rest meiner Schulden erlassen, sondern ich würde auch nicht meine Familie beerdigen müssen.«
Blankes Entsetzen packte Emily. »Er hat gedroht, uns umzubringen?«
»Er hat gesagt: Wenn ich ein Wort sage«, bestätigte ihr Vater, verzweifelt bemüht, dass Emily erkannte, vor welcher Wahl er damals stand, »dann stirbst du als Erste.
Dann James, dann deine Mutter. Was hätte ich denn tun sollen?«
Tränen glitzerten in Emilys Augen. »Ich habe mir gesagt, dass es doch keine furchtbare Sache sei. Dass Austin die Wahrheit gesagt hatte über den Grund, warum er nebenan gewesen war, bedeutet doch nicht, dass die Mordanklage gegen ihn unberechtigt war.« Der Blick ihres Vaters verriet, dass sie ihm zustimmen, wenn nicht sogar vergeben sollte. »Das heißt doch nicht, dass er unschuldig ist, Em.«
Doch, das hieß es.
Als sie seine Äußerung unbeantwortet ließ, wandte er den Blick ab.
Die Erkenntnis, dass sie und ihr Vater einen Unschuldigen ins Gefängnis geschickt hatten, veränderte etwas Elementares in Emily.
»Ich konnte nichts anderes tun, Em. Das musst du wissen. Ich habe mit dieser Schuld gelebt …«, er stockte, »… aber ich musste hoffen, das Richtige zu tun … Nur so konnte ich damit leben.«
»Daddy.« Sie legte die Hand auf seinen Ärmel, spürte die vertraute gestärkte Baumwolle. »Ich weiß, du hast getan, was du tun musstest. Aber jetzt muss ich dasselbe tun.«
»Ich mache mir Sorgen um deine Sicherheit, Schatz. Wenn Austin unschuldig gewesen wäre, hätte die Polizei das doch herausgefunden. Aber ich werde tun, was ich schon vor zehn Jahren hätten tun sollen; du hast mein Wort. Erwarte nur nicht, dass sich dadurch irgendetwas ändert.«
Oh doch. Dadurch änderte sich alles.
24
9.45 Uhr
Clint setzte sich, einen Styropor-Kaffeebecher in der Hand, und überlegte, was er frühstücken sollte; die Auswahl war nicht besonders groß: Doughnut oder Schokoriegel. Er war zu Sack & Go gefahren, um etwas in den Magen zu bekommen, aber er war nicht lange geblieben, weil ständig Leute auf dem Weg zum Gottesdienst in den Laden gekommen waren. Er hatte keine Lust gehabt, sich von denen angaffen zu lassen. Er hatte geglaubt, dass es ihm nichts ausmachen würde, ihn nichts erschüttern könnte nach allem, was er in Holman durchgemacht hatte, aber er hatte sich getäuscht.
Die Leute konnten ihn durchaus aus der Fassung bringen, genau wie Ray gesagt hatte.
Clint trank einen Schluck und verscheuchte seine negativen Gedanken. Er würde das schon durchstehen. Jetzt aufzugeben kam gar nicht in Frage.
Die Beschäftigung mit den Ermittlungsakten würde ihn schon auf die richtige Spur bringen. Irgendjemand war garantiert nervös geworden. Heather hatte das Opfer sein sollen, das hatte er immer gewusst. Er hatte Emily genau beobachtet, er hätte gemerkt, wenn ihr Leben in Gefahr gewesen wäre. Er hatte sie wie verrückt begehrt. Jetzt hatte er ihr wieder wehgetan … wieder.
Während all der Jahre in seiner Gefängniszelle hatte er auf diese Gelegenheit gewartet.
Der entschlossene Zorn, der normalerweise gegen Emily Wallace gerichtet war, würde nicht auf ewig gegen
sie gerichtet bleiben. Wenn er sie dazu bringen könnte, die Überzeugung von seiner Schuld fallen zu lassen und an die Tage und Wochen vor dem Mord an Heather zu denken, dann
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