Wie ein einziger Tag
reichte ihr eine.
Sie lächelte, nippte einmal und trat dann ans Fenster.
»Es muß schön sein, wenn morgens die Sonne hier hereinscheint.«
Er nickte.
»Ja, das ist es. Deshalb habe ich auf der ganzen Ostseite die Fenster vergrößern lassen. Sogar in den Schlafzimmern oben.«
»Das wird deinen Gästen sicher gefallen - wenn sie nicht gerade Langschläfer sind.«
»Um ehrlich zu sein, hatte ich noch keine Gäste über Nacht. Seit Vater tot ist, weiß ich gar nicht, wen ich einladen sollte.«
An seinem Tonfall erkannte sie, daß er nur Konversation machte. Trotzdem ergriff sie ein Gefühl von… von Einsamkeit. Er schien zu merken, was sie empfand, doch bevor sie darüber nachdenken konnte, hatte er das Thema gewechselt.
»Ich gebe die Krebse vor dem Dämpfen kurz in eine Marinade.«
Er stellte seine Tasse auf dem Tisch ab und holte einen großen Dampfkochtopf mit Deckel aus dem Schrank. Er füllte etwas Wasser hinein und trug ihn zum Herd.
»Kann ich irgendwie helfen?«
Er antwortete über die Schulter hinweg.
»Gem. Du könntest zum Beispiel Gemüse schneiden. Im Eisschrank ist alles mögliche. Eine Schüssel findest du dort im Schrank.«
Er deutete auf den Schrank neben der Spüle, und sie nahm einen zweiten Schluck Tee, bevor sie die Tasse abstellte und die Schüssel holte. Sie trug sie zum Eisschrank, nahm Okraschoten, Zucchini, Zwiebeln und Karotten aus dem untersten Fach. Noah trat neben sie vor die geöffnete Tür, und sie wich ein wenig zur Seite, um ihm Platz zu machen. Sie verspürte seinen Geruch -so vertraut -, während er jetzt dicht bei ihr stand, und als er sich vorbeugte und in den Kühlschrank langte, streifte sie sein Arm. Er nahm eine Flasche Bier und ein Fläschchen Tabasco heraus und kehrte damit zum Herd zurück.
Noah öffnete das Bier und goß es ins Wasser, gab etwas Tabasco hinzu und zwei, drei Löffel Trockenwürze. Er rührte so lange, bis sich das Pulver aufgelöst hatte, und ging dann zur Hintertür, um die Krebse zu holen.
Er hielt inne, bevor er wieder ins Haus trat, und sah Allie durchs Küchenfenster beim Karottenschneiden zu. Und er fragte sich erneut, warum sie hergekommen war, jetzt, wo sie verlobt war.
Aber war nicht alles an Allie überraschend gewesen? Er lächelte still in sich hinein, als er sich erinnerte, wie sie damals gewesen war. Feurig, spontan, leidenschaftlich - so wie in seiner Vorstellung ein Künstler sein mußte. Und eine Künstlerin war sie ohne Zweifel. Künstlerisches Talent wie das ihre war ein Geschenk. Er entsann sich, Gemälde in New Yorker Museen gesehen und dabei gedacht zu haben, daß ihre Bilder den Vergleich mit ihnen wohl ausgehalten hätten.
Sie hatte ihm eines ihrer Bilder geschenkt, bevor sie in jenem Sommer abreiste. Es hing jetzt im Wohnzimmer über dem Kamin. Sie hatte es »Bild meiner Träume« genannt, und er hatte es sehr ausdrucksstark und sinnlich gefunden. Wenn er es betrachtete, was er häufig tat, meinte er, in jeder Farbe, in jeder Linie Verlangen zu sehen, und wenn er sich lange genug darauf konzentrierte, konnte er sich vorstellen, was sie bei jedem Pinselstrich gedacht und empfunden hatte.
Als in der Feme ein Hund bellte, merkte Noah, daß er lange so dagestanden hatte. Er schloß rasch die Tür und ging in die Küche zurück. Unterwegs fragte er sich, ob sie bemerkt hatte, wie lange er fort gewesen war.
»Alles in Ordnung?« fragte er und sah, daß sie fast fertig war.
»Bestens. Hab's gleich geschafft. Gibt es sonst noch was zum Essen?«
»Ich habe selbstgebackenes Brot hier.«
»Selbstgebacken?«
»Von einer Nachbarin«, sagte er und stellte den Eimer in die Spüle. Er drehte den Hahn auf, hielt die Krebse unter das fließende Wasser und ließ sie dann in der Spüle krabbeln. Allie nahm ihre Tasse, kam näher und schaute ihm zu.
»Hast du keine Angst, daß sie dich kneifen, wenn du sie anfaßt?«
»Nein. Man muß sie nur an der richtigen Stelle packen.« Er zeigte es ihr, und sie lächelte.
»Ich hab' vergessen, daß du so was dein ganzes Leben getan hast.«
»New Bern ist klein, doch man lernt hier die Dinge, auf die es ankommt.«
Sie lehnte sich wieder an die Anrichte und trank ihren Tee aus. Als die Krebse sauber waren, gab er sie in einen Topf auf dem Herd. Er wusch sich die Hände und drehte sich zu ihr um.
»Sollen wir uns ein Weilchen auf die Veranda setzen?
Ich möchte die Krebse eine halbe Stunde in der Marinade lassen.«
»Gern«, sagte sie. Er trocknete sich die Hände, und sie gingen
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