Wie ein einziger Tag
wirst.«
»Ich soll mir wohl als etwas Besonderes Vorkommen.«
Er wartete einen Augenblick mit der Antwort.
»Du bist etwas Besonderes«, sagte er schließlich, und an der Art, wie er es sagte, glaubte sie zu fühlen, daß er noch etwas hatte hinzufügen wollen. Doch er schwieg, und Allie schaute lächelnd zur Seite. Und während sie den Blick schweifen ließ, spürte sie den Wind auf ihrem Gesicht. Er war seit heute morgen etwas stärker geworden.
Kurz darauf hatten sie den Steg erreicht. Er verstaute den Beutel im Bug des Kanus und vergewisserte sich, daß er nichts vergessen hatte, bevor er das Boot ins Wasser gleiten ließ.
»Kann ich irgendwas tun?«
»Nein, nur einsteigen.«
Nachdem sie ins Kanu geklettert war, stieß er es ein Stück weiter ins Wasser, etwas näher zum Steg hin. Dann sprang er mit einem eleganten Satz vom Steg ins Boot, ohne es übermäßig ins Schwanken zu bringen. Allie war beeindruckt von seiner Geschicklichkeit, denn was wie ein Kinderspiel ausgesehen hatte, war in Wirklichkeit, das wußte sie, viel schwieriger.
Allie saß, Noah zugewandt, im vorderen Teil des Kanus. Er hatte irgend etwas von schlechterer Sicht gesagt, als er zu paddeln begann, aber sie hatte den Kopf geschüttelt und gemeint, sie sitze gut so.
Und so war es auch.
Sie konnte alles sehen, was sie wollte, wenn sie nur zur Seite blickte, aber sie wollte vor allem Noah beobachten. Sie war hergekommen, um ihn zu sehen, ihn, und nicht den Fluß. Sein Hemd war oben aufgeknöpft, und sie sah bei jedem Ruderschlag seine Brustmuskeln arbeiten. Seine Ärmel waren hochgekrempelt, und so konnte sie auch seine Armmuskeln bewundern, die vom allmorgendlichen Kajakfahren fest und kräftig waren.
Ein Künstler, dachte sie bei sich. Er hat etwas von einem Künstler an sich, wenn er sich so bewegt. Auch etwas Natürliches, als wäre er auf dem Wasser geboren und von jeher mit dem Element vertraut. Und während sie ihn beobachtete, überlegte sie, wie die Eroberer dieser Gegend wohl ausgesehen haben mochten.
Niemand, den sie kannte, hatte auch nur die leiseste Ähnlichkeit mit ihm. Er war kompliziert, in mancherlei Hinsicht fast ein Widerspruchsgeist und dabei doch einfach - eine merkwürdige erotische Mischung. An der Oberfläche war er der Bursche vom Lande, der eben aus dem Krieg zurückgekehrt war, und wahrscheinlich sah er sich selbst auch so. Und doch war da viel mehr. Vielleicht war es die Poesie, die ihn so anders machte, vielleicht waren es die Werte, die ihm sein Vater mit auf den Weg gegeben hatte, als er heranwuchs. Was immer es war, er schien intensiver zu leben als andere, und das war es, was ihr gleich zu Beginn so sehr gefallen hatte.
»Woran denkst du? «
Sie zuckte zusammen, als Noahs Stimme sie in die Gegenwart zurückholte. Sie hatte kaum ein Wort gesagt, seitdem sie auf dem Wasser waren, und hatte die Stille genossen, die er ihr zugebilligt halte. Er war immer schon so rücksichtsvoll gewesen.
»Lauter angenehme Dinge«, entgegnete sie ruhig, und sie konnte in seinen Augen sehen, daß er wußte, daß sie über ihn nachgedacht hatte. Ihr gefiel die Vorstellung, daß er es wußte, und sie hoffte, daß auch er an sie gedacht hatte.
Und während sie ihn ansah, während sie sah, wie sein Körper sich bewegte, spürte sie wieder dieses sonderbare Brennen in ihrem Innern, wie vor so vielen Jahren. Als sich ihre Blicke begegneten, fühlte sie die Hitze in ihrem Nacken und in ihren Brüsten, und als sie merkte, daß sie errötete, wandte sie sich schnell ab.
»Ist es noch weit?« fragte sie.
»Etwa eine halbe Meile. Nicht mehr.«
»Es ist wunderschön hier draußen«, fuhr sie nach einem kurzen Schweigen fort. »So ruhig. Fast so, als wäre die Zeit stehengeblieben.«
»In gewisser Weise ist das auch so. Der Fluß kommt aus dem Wald. Zwischen hier und der Quelle gibt es kein einziges Farmhaus, und das Wasser ist rein wie Regen. Wohl genau wie seit Ewigkeiten.«
Sie beugte sich vor.
»Sag mal, Noah: Woran kannst du dich am besten erinnern, wenn du an unseren Sommer zurückdenkst?«
»An alles.«
»An nichts Besonderes?«
»Nein«, sagte er.
»Du erinnerst dich nicht?«
Er ließ sich Zeit mit der Antwort und sagte dann ruhig und erst:
»Nein, Allie, nicht an das. Nicht an das, was du meinst. Es war mir erst, als ich sagte: ›An alles‹. Ich kann mich an jeden Augenblick erinnern, den wir zusammen verbracht haben, und jeder Augenblick war wunderschön. Ich kann nicht einen einzelnen nennen und sagen, daß
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