Wie ein einziger Tag
er mir wichtiger war als ein anderer. Der ganze Sommer war vollkommen, ein Sommer, wie jeder ihn einmal erlebt haben sollte. Wie kann ich da einen Augenblick hervorheben?
Dichter beschreiben die Liebe oft als ein Gefühl, das wir nicht kontrollieren können, ein Gefühl, das Logik und Verstand ausschaltet. Und genau das war es für mich. Ich hatte nicht die Absicht, mich in dich zu verlieben, und auch du hattest sicher nicht die Absicht, dich in mich zu verlieben. Aber als wir uns begegnet sind, war klar, daß keiner von uns seine Gefühle mehr unter Kontrolle hatte. Wir haben uns verliebt, obwohl wir so verschieden waren, und dann geschah etwas Seltenes und Wunderschönes. Ich habe eine solche Liebe nur einmal erlebt, und deshalb hat sich mir jede mit dir verbrachte Minute für immer eingeprägt. Ich werde niemals auch nur einen einzigen Augenblick vergessen können.«
Allie sah ihn mit großen Augen an. Noch nie hatte ihr jemand so etwas gesagt. Noch nie. Da sie nicht wußte, was sie entgegnen sollte, saß sie schweigend mit glutroten Wangen da »Entschuldige, Allie, wenn ich zuviel gesagt habe. Das wollte ich nicht. Aber dieser Sommer ist unvergeßlich für mich, und das wird er immer bleiben. Ich weiß, daß es zwischen uns nie mehr so sein kann wie damals, doch das ändert nichts an dem, was ich für dich empfunden habe.«
»Du hast nicht zuviel gesagt, Noah«, entgegnete sie mit ruhiger Stimme und fühlte eine angenehme Wärme durch ihren Körper strömen, »Es ist nur so, daß ich solche Dinge sonst nie höre. Was du gesagt hast, ist wunderschön. Nur ein Dichter kann so sprechen wie du, und, wie gesagt, du bist der einzige Dichter, den ich kenne.«
Friedliches Schweigen folgte. In der Feme ertönte der Schrei eines Fischadlers. Das Paddel bewegte sich gleichmäßig, verursachte winzige Wellen, die das Boot sanft schaukelten. Der Wind hatte sich gelegt, und die Wolken wurden immer schwärzer, während das Kanu einem unbekannten Ziel entgegen glitt.
Allie nahm alles wahr, jeden Laut, jeden Gedanken. Ihre Sinne waren hellwach und wanderten noch einmal durch die letzten Wochen. Sie dachte daran, wie sehr sie sich vor dieser Reise gefürchtet hatte. Wie sehr sie dieser Zeitungsartikel erschreckt hatte. Wie schlecht sie nachts geschlafen hatte und wie gereizt sie tagsüber gewesen war. Selbst gestern noch hatte sie Angst gehabt und wäre am liebsten davongelaufen. Die inneren Spannungen hatten nachgelassen. An ihre Stelle war etwas anderes getreten, und sie war glücklich darüber.
Sie war auf sonderbare Weise froh, daß sie hergekommen war, glücklich, daß Noah sich so entwickelt hatte, wie sie es sich vorgestellt hatte, glücklich, daß sie mit diesem Wissen leben würde. Sie hatte in den letzten Jahren zu viele Männer gesehen, die der Krieg, die Zeit oder auch das Geld zerstört hatten. Man brauchte viel Kraft, um sich innere Begeisterung zu bewahren, und das hatte Noah getan.
Die Welt, in der sie lebten, war eine Welt der Arbeit, des Geldes, nicht der Poesie, und es würde den Menschen schwer fallen, Noah zu verstehen. Amerika befand sich im Aufschwung, alle Zeitungen sprachen davon; die Menschen stürzten sich in die Arbeit, um die Schrecken des Krieges zu vergessen. Allie wußte warum, doch sie sah, daß alle, auch Lon, vor allem um des Profits willen so hart arbeiteten und dabei die Dinge vernachlässigten, die die Welt schön machten.
Wer in Raleigh würde sich Zeit nehmen, ein Haus zu restaurieren? Oder Whitman oder Eliot lesen und poetische Bilder ersinnen? Wer würde der Morgendämmerung im Kanu nachjagen? Das waren keine Beschäftigungen, die Gewinn brachten, doch Allie wußte, daß sie das Leben erst lebenswert machten.
Für sie galt das auch für die Kunst, obwohl sie das erst erkannt - oder, besser gesagt, wiedererkannt -hatte, nachdem sie hierhergekommen war. Damals hatte sie es gewußt, und sie verwünschte sich jetzt, etwas so Wichtiges wie das Schaffen von Schönheit vergessen zu haben. Sie würde wieder anfangen zu malen, das wußte sie. Schon heute morgen war ihr klar geworden, daß sie, was auch geschähe, einen neuen Anfang wagen würde.
Würde Lon sie dazu ermuntern? Sie erinnerte sich, ihm am Anfang ihrer Beziehung eines ihrer Bilder gezeigt zu haben. Es war ein abstraktes Gemälde gewesen, eines, das die Phantasie anregen sollte. In gewisser Weise ähnelte es dem Bild über Noahs Kamin, dem, das Noah sogleich verstanden hatte. Lon hatte darauf gestarrt, es eingehend studiert
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