Wie ein einziger Tag
einen Kaffee und trat auf die Veranda. Der Himmel hatte sich verdunkelt, und er schaute auf sein Barometer. Beständig, aber es war schon bald mit den ersten Tropfen zu rechnen. Wolken im Westen verhießen stets Regen.
Er hatte schon vor langer Zeit gelernt, das Wetter niemals zu unterschätzen, und überlegte, ob es eine gute Idee war, heute hinauszufahren. Der Regen selbst machte ihm keine Sorgen, doch mit Gewittern war nicht zu spaßen. Schon gar nicht auf dem Wasser. Wenn Blitze am Himmel zuckten, sollte man lieber nicht im Kanu sein.
Er trank seinen Kaffee aus und beschloß, die Entscheidung auf später zu verschieben. Er ging zu seinem Werkzeugschuppen und holte seine Axt. Er prüfte die Schneide, indem er den Daumen darüber gleiten ließ, und schärfte sie dann mit einem Wetzstein. »Eine stumpfe Axt ist gefährlicher als eine scharfe«, hatte sein Vater immer gesagt.
Die nächsten zwanzig Minuten verbrachte er mit Holzhacken. Seine Hiebe waren sicher und gezielt und kosteten ihn keine Schweißtropfen. Einen Teil der Scheite legte er für später auf die Seite, die restlichen trug er ins Wohnzimmer und stapelte sie neben dem Kamin auf.
Als er fertig war, betrachtete er versonnen Allies Bild und berührte es mit der Hand. Und wieder schien ihm unbegreiflich, daß sie hier gewesen war. Was hatte sie nur an sich, daß sie solche Gefühle in ihm weckte? Selbst nach all den Jahren? Was war es, das ihn so sehr in ihren Bann zog?
Er wandte sich kopfschüttelnd ab und trat wieder auf die Veranda. Er warf noch einmal einen Blick aufs Barometer. Da hatte sich nichts verändert. Dänin schaute er auf die Uhr.
Allie mußte bald hier sein.
Allie hatte ihr Bad beendet und sich schon angezogen. Vorher hatte sie das Fenster geöffnet, um die Temperatur zu prüfen. Es war nicht kalt draußen, und so hatte sie sich für das cremefarbene Frühlingskleid mit den langen Ärmeln und dem Stehkragen entschieden. Es war weich und bequem, vielleicht etwas eng, aber hübsch, und sie besaß dazu passende weiße Sandalen. Sie verbrachte den Morgen in der Stadt und bummelte durch die Straßen. Die große Krise hatte auch hier ihren Tribut gefordert, doch man konnte schon überall erste Zeichen von neuem Wohlstand erkennen. Das Masonic Theater, das älteste Filmtheater im Land, sah zwar noch etwas heruntergekommener aus als damals, war aber immer noch in Betrieb und zeigte einige der neuesten Filme.
»Fort Totten Park« sah noch genauso aus wie vor vierzehn Jahren, und sie vermutete, daß die Kleinen, die nach der Schule auf den Schaukeln spielten, auch noch genauso aussahen. Sie lächelte, als sie sich an die Zeit erinnerte, in der alles noch einfacher war. Oder ihr einfacher vorgekommen war. Im Augenblick kam ihr gar nichts einfach vor. Es schien ihr geradezu unwahrscheinlich, daß sich alles so gefügt hatte, und sie überlegte, was sie jetzt tun würde, wenn sie den Artikel in der Zeitung nicht gefunden hätte. Es war Mittwoch, und das hieß Bridge im Country Club, anschließend Versammlung der Junior Women's League mit Spendenaktion für die Privatschule oder das Krankenhaus. Danach Besuch bei ihrer Mutter, dann nach Hause und Umziehen zum Abendessen mit Lon, der Wert darauf legte, mittwochs Punkt sieben das Büro zu verlassen. Es war der Abend in der Woche, an dem sie sich regelmäßig sahen.
Sie unterdrückte ein Gefühl des Bedauerns und hoffte, daß er sich eines Tages ändern würde. Er hatte es schon öfter versprochen und sich meist ein paar Wochen daran gehalten, bis er wieder die alte Gewohnheit annahm. »Ich kann heute abend nicht, Liebes«, sagte er dann. »Tut mir leid, aber es geht nicht. Ich mache es ein andermal wieder gut.«
Sie mochte mit ihm nicht darüber streiten, vor allem weil sie wußte, daß er ehrlich war. Prozesse waren mit ungeheuer viel Arbeit verbunden; trotzdem wunderte sie sich manchmal, warum er soviel Zeit aufgewandt hatte, ihr den Hof zu machen, wenn er jetzt so wenig Zeit für sie hatte.
In der Front Street gab es eine Kunstgalerie. Sie war so in Gedanken, daß sie zunächst vorbeiging, dann aber plötzlich stehenblieb und kehrtmachte. An der Tür hielt sie einen Augenblick inne, als ihr bewußt wurde, wie lange sie nicht mehr in einer Galerie gewesen war. Mindestens drei Jahre, vielleicht länger. Warum eigentlich?
Sie trat ein und schlenderte zwischen den Bildern umher. Die meisten der Künstler stammten aus der Gegend, und ihre Werke waren stark von der See geprägt. Viele
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