Wie ein einziger Tag
schwieg eine Weile, und Noah sah, wie sich das Feuer in ihren smaragdgrünen Augen widerspiegelte. »Weißt du noch, wie wir abends kurz vor meiner Abreise das Gewitter beobachtet haben?« fragte sie schließlich.
»Natürlich.«
»Ich habe oft daran denken müssen, als ich wieder zu Hause war. So wie du damals aussahst, habe ich dich in Erinnerung behalten.«
»Habe ich mich sehr verändert?«
Sie nahm einen Schluck Whiskey, spürte, wie er sie wärmte. Dann legte sie ihre Hand auf seine.
»Nicht wirklich. Nicht in den wesentlichen Dingen. Du bist natürlich älter geworden, hast mehr Lebenserfahrung, aber du hast noch immer den gleichen Glanz in den Augen. Du liest noch immer Gedichte und liebst die Natur. Und selbst der Krieg hat dir deine Freundlichkeit, deine Sanftmut nicht nehmen können.«
Er dachte über ihre Worte nach und fühlte ihre Hand auf der seinen, spürte, wie ihr Daumen langsame Kreise zog.
»Allie, du hast mich vorhin gefragt, was mir von unserem gemeinsamen Sommer am besten im Gedächtnis geblieben ist. Woran erinnerst du dich im besonderen?«
Es dauerte eine Weile, bis sie antwortete. Ihre Stimme schien von weit her zu kommen.
»An unsere Liebesnacht. Daran kann ich mich am besten erinnern. Du warst der erste, und es war tausendmal schöner, als ich es mir habe vorstellen können.«
In Noah erwachten die alten Gefühle wieder. Plötzlich schüttelte er den Kopf. Es war fast unerträglich.
»Ich weiß noch, wie ich vor Angst zitterte«, führ sie fort. »Ich bin froh, daß du der erste warst. Bin froh, daß wir das gemeinsam erlebt haben.«
»Ich auch.«
»Hattest du auch solche Angst wie ich?«
Noah nickte stumm, und sie lächelte über seine Ehrlichkeit.
»Das dachte ich mir. Du warst so schüchtern damals. Vor allem zu Anfang. Ich weiß noch, wie du mich fragtest, ob ich einen Freund hätte. Als ich ja sagte, wolltest du kaum noch mit mir sprechen.«
»Ich wollte eure Beziehung nicht stören.«
»Das hast du aber, unschuldig, wie du warst«, sagte sie lächelnd. »Und ich bin froh darüber.«
»Wann hast du ihm von uns erzählt?«
»Als ich wieder nach Hause kam«
»War es schwer?«
»Überhaupt nicht. Ich war viel zu verliebt in dich.«
Sie drückte seine Hand, ließ sie los und rückte ein wenig näher zu ihm Sie schob ihre Hand unter seinen Arm und legte den Kopf an seine Schulter. Er nahm ihren Geruch wahr, zart wie Regen, warm.
»Weißt du noch, wie du mich nach dem Stadtfest nach Hause begleitet hast?« sagte sie mit sanfter Stimme. »Ich fragte dich, ob du mich Wiedersehen wolltest. Du hast nur genickt und kein Wort gesagt. Das war nicht gerade überzeugend.«
»Ich war vorher noch nie einem Mädchen wie dir begegnet. Ich war völlig überwältigt. Ich wußte nicht, was ich sagen sollte.«
»Ich weiß. Du konntest nie etwas verbergen. Deine Augen haben dich stets verraten. Und du hattest die schönsten Augen, die ich jemals gesehen hatte.«
Sie verstummte, hob den Kopf von seiner Schulter und blickte ihn an. »Ich glaube, ich liebte dich damals mehr, als ich je einen Menschen geliebt habe.«
Wieder zuckte ein Blitz am Himmel. In den Sekunden vor dem Donner trafen sich ihre Augen, und während sie versuchten, die vierzehn Jahre auszulöschen, fühlten beide, was sich seit gestern verändert hatte. Als der Donner ertönte, seufzte Noah, wandte sich ab und blickte zum Fenster.
»Ich wünschte, du hättest die Briefe gelesen, die ich dir geschrieben habe«, sagte er.
Sie schwieg eine lange Weile.
»Ich habe es dir nicht erzählt, Noah«, sagte sie schließlich, »aber auch ich habe dir viele Briefe geschrieben. Ich habe sie nur nie abgeschickt.«
»Und warum?« fragte Noah überrascht.
»Weil ich Angst hatte.«
»Angst wovor?«
»Daß vielleicht alles gar nicht so war, wie ich es geglaubt hatte. Daß du mich vielleicht schon vergessen hattest.«
»Dich vergessen? Das hätte ich nie gekonnt.«
»Das weiß ich jetzt. Ich brauche dich nur anzuschauen. Aber damals war alles anders. Es gab so vieles, was ich nicht verstand, Dinge, die ein junges Mädchen nicht durchschauen kann.«
»Was meinst du damit?«
Sie hielt inne, um sich zu sammeln.
»Als deine ersehnten Briefe ausblieben, wußte ich nicht, was ich denken sollte. Ich erzählte meiner besten Freundin, was geschehen war, und sie sagte, du hättest gekriegt, was du wolltest, und sie wundere sich nicht, daß du nichts von dir hören ließest. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß du so bist, niemals.
Weitere Kostenlose Bücher