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Wie ein Flügelschlag

Wie ein Flügelschlag

Titel: Wie ein Flügelschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Wilke
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genommen und mein Gesicht daran
geschmiegt. Ich hatte ihren Geruch eingeatmet und mir vorgestellt,
es seien seine Hände, in die ich mein Gesicht bettete. Was
hatte Vanessa mit Mika zu tun?
    Es klingelte. Beruhigt stellte ich fest, dass Melanie ihr nicht
geantwortet hatte.

    Nach der letzten Unterrichtsstunde hatte ich immer noch keine
Gelegenheit gefunden, mit Melanie über unsere Einladung bei
Bernges zu sprechen. Sie schlüpfte aus dem Klassenzimmer,
bevor ich überhaupt meine Sachen im Rucksack verstaut hatte,
und als ich endlich auf den Schulhof kam, konnte ich nur noch
beobachten, wie sie zu einem Auto lief, das bereits vor der Schule
auf sie gewartet hatte. Kein schwarzes Auto, registrierte ich, sondern
ein rotes. An seinem Kotflügel lehnte ein Typ, den ich noch
nie hier gesehen hatte. Er rauchte, aber als er Mel kommen sah,
warf er die Zigarette auf den Boden und trat sie aus. Meine Überraschung
war so groß, dass ich einfach stehen blieb. Hatte Mel
einen Freund? Sie hatte nie darüber gesprochen. Ob ihre Eltern
etwas ahnten? Und was war mit Jonas? Auf einmal glaubte ich
zu wissen, warum Mel sich plötzlich so verändert hatte. Schnell
verbarg ich mich zwischen den Müllcontainern. Melanie sollte
nicht denken, dass ich ihr hinterherschnüffelte. Es war auch so
schon alles kompliziert genug.
    Ich betrachtete den Jungen und fragte mich, wie alt er wohl
war. Auf jeden Fall volljährig, schließlich hatte er einen Führerschein.
Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare, stieß sich
vom Auto ab und ging Mel entgegen. Zur Begrüßung umarmten
die beiden sich. In seinem grün karierten Flanellhemd und seinen
zerbeulten Jeans sah der Typ ein bisschen so aus, als ob er
einem amerikanischen Film entsprungen wäre. Er redete eine
Weile auf Mel ein, ohne dass ich verstehen konnte, worüber sie
sprachen. Dann ging er um das Auto herum und öffnete ihr die
Beifahrertür.
    Ich runzelte die Stirn. Vielleicht hatte ihr Vater keine Zeit und
hatte deshalb jemanden aus dem Krankenhaus geschickt, der sie
abholte? Ratlos schaute ich zu, wie die beiden davonfuhren. Als
ich mich umdrehte, um zurück zum Wohntrakt zu gehen, sah
ich Jonas an der Hauswand lehnen. Auch er starrte dem Auto
nach. Und seine Hände waren zu Fäusten geballt.

    Seufzend klopfte ich an die Tür. Ich hatte keine Lust, allein zu
Bernges zu gehen, aber ich würde ihm wenigstens sagen müssen,
dass ich Melanie verpasst hatte.
    Aus seiner Wohnung drang laute Musik. Klassik oder so
etwas.
    Da Bernges nicht gleich öffnete, klopfte ich erneut, diesmal
lauter. Die Musik verstummte und kurz darauf erschien sein Gesicht
im Türrahmen.
    »Hallo, Jana, schön, dass du an unsere Verabredung gedacht
hast.« Er schaute an mir vorbei nach draußen. »Melanie? Ist sie
nicht …?«
    »Melanie ist direkt nach der Schule nach Hause gefahren.
Ich hatte gar keine Chance, mit ihr über die Einladung zu sprechen.
«
    »Ach, das ist schade, aber da kann man wohl nichts machen.«
Bernges wendete seinen Rollstuhl. »Du wirst mir doch hoffentlich
trotzdem ein paar Minuten Gesellschaft leisten, oder? Der
Tee ist schon fertig.«
    Ich brachte es nicht übers Herz, Nein zu sagen, und folgte ihm
in eines der Zimmer, das aussah wie eine Mischung aus Wohnund
Arbeitszimmer. Es gab einen Sessel, ein kleines Sofa und
einen niedrigen Tisch, darauf stand eine Kanne Tee neben drei
Tassen. Außerdem eine große Schale mit Plätzchen. Auf dem
Schreibtisch an der Wand stapelten sich Berge von Papier und
jede Menge aufgeschlagener Bücher. Einen Schreibtischstuhl
gab es nicht.
    Bernges folgte meinem Blick.
    »Bitte entschuldige das Chaos, ich brauche diese kreative
Unordnung zum Arbeiten.« Er lächelte verschmitzt und wies
auf den einzigen Sessel im Raum. »Setz dich doch.«
    Vorsichtig nahm ich Platz. Vor mir dampfte einladend eine
Tasse, die Bernges mit Tee gefüllt hatte. Trotzdem fühlte ich
mich unbehaglich, wusste nicht, wo ich hinschauen sollte. Ich
hatte noch nie einen Lehrer zu Hause besucht. Auch früher
nicht, bevor ich ans Internat gekommen war. Ich hatte keine Ahnung,
was ich sagen sollte.
    »Wie gefällt es dir an unserer Schule?« Bernges' gutmütiger
Blick ruhte auf mir.
    »Gut. Danke. Ich bin froh, dass ich hier sein darf.«
    »Jana«, Bernges beugte sich vor, »du bist hier niemandem
zu Dank verpflichtet. Dass du hier bist, hast du ganz allein dir zu
verdanken. Dir und deinen Leistungen.«
    Ich schluckte. Melanies Vater sah das vermutlich ganz anders

    »Wie lange schwimmst du

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