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Wie ein Flügelschlag

Wie ein Flügelschlag

Titel: Wie ein Flügelschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Wilke
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die Proben keine Zeit zu haben,
ist das deine Sache«, hörte ich Jonas sagen. »Aber glaub mir, es
bringt auch nichts, jetzt rund um die Uhr zu trainieren.«
    Ich konnte nicht anders, ich musste doch wieder zu den beiden
hinüberschauen. Hatte ich das richtig verstanden? Wollte
Melanie schon wieder ins Wasser?
    »Lass das mal meine Sorge sein, okay?« Melanie sah noch
einmal kurz zu mir und verließ die Mensa.
    »Verdammt.« Jonas schlug mit der flachen Hand auf den
Tisch. Dann schaute er mich an. Ich versuchte, seinem Blick
standzuhalten. Ich wusste, dass er mir die Schuld dafür gab, dass
Mel wie eine Besessene trainierte. Das Schlimme war, ich fühlte
mich auch schuldig. Obwohl ich nichts für den Druck konnte,
den ihr Vater auf sie ausübte, war doch ich der Grund dafür. Ich
war seinen Plänen im Weg. So hatte Mika es unmissverständlich
ausgedrückt. Das war das Problem. Und Drexler hatte mir die
Lösung für dieses Problem bereits serviert. Es lag nur an mir, sie
auch anzunehmen.
    Ich wandte den Blick von Jonas und der Clique ab und schob
meine Essensreste auf dem Teller hin und her. Der Appetit war
mir vergangen. Ich griff nach meinem Rucksack.
    »Ich geh dann auch mal.«
    Tom sah mich erstaunt an, sagte aber nichts, wofür ich ihm
dankbar war.

    Erst draußen auf dem Hof blieb ich wieder stehen. Es hatte angefangen
zu schneien. Der Schnee überzog den gefrorenen Boden
bereits mit einer dünnen weißen Schicht. Während ich den wirbelnden
Flocken zuschaute, fragte ich mich, wie viele von ihnen
es wohl brauchte, um auch in unserer Straße alles weiß und sauber
aussehen zu lassen. Wenn doch auch meine Mutter diese
weiße Decke über allem sehen könnte!
    Mein Blick fiel auf die Schwimmhalle. Nun hatte ich die Gelegenheit,
auf die ich seit Tagen gewartet hatte. Wenn ich jetzt
meinen Badeanzug holen und ebenfalls trainieren würde, hätte
ich Melanie höchstwahrscheinlich für mich allein. Nachdenklich
schaute ich durch das Schneetreiben zur Halle hinüber.
Es würde mich nur einen Satz kosten und ich könnte Melanie
damit den Druck nehmen. Ein Satz nur, und sie könnte weiter
beruhigt zu den Theaterproben gehen, statt wie eine Besessene
zu trainieren. Ich überlegte mir, wie Mel wohl reagieren würde,
wenn ich ihr sagte, dass ich sie gewinnen lassen sollte. Ob sie das
überhaupt wollte? Bisher dachte ich, die Antwort zu kennen,
weil ich einfach davon ausgegangen war, dass Melanie nicht nur
so gut schwamm wie ich, sondern auch genauso dachte. Inzwischen
war ich mir da gar nicht mehr sicher. Aber wie sie wirklich
dachte, würde ich nie herausfinden, wenn ich hier weiter herumstand.
    Der Schnee fiel jetzt dichter, die Flocken wirbelten durcheinander
und nahmen mir langsam die Sicht. Mit der Hand fuhr ich
mir durch die Haare. Sie waren schon ganz nass.
    Ich drehte mich um und lief zum Wohntrakt hinüber, um
meine Schwimmsachen zu holen.
    »Hallo, Jana, Mittagspause schon beendet?«
    Ich fuhr herum. Wo kam Bernges auf einmal her? Ich hatte ihn
gar nicht kommen sehen.
    »Was für ein Wetter. Ich dachte eigentlich, wir hatten bereits
genug Schnee in diesem Jahr.« Bernges rollte neben mich. Offensichtlich
hatten wir den gleichen Weg. Ich betrachtete ihn
unauffällig von der Seite. Er trug eine wasserfeste Jacke. Auf
seinen Knien lag eine Wolldecke, die ebenfalls bereits mit einer
dünnen Schneeschicht überzogen war. Ich sah, wie er meinem
Blick folgte, und wurde rot.
    Er griff in die Räder und gab ihnen einen kräftigen Stoß. »Ich
sollte mich bei diesem Wetter nicht draußen herumtreiben.« Er
zwinkerte mir zu. »Wenn das so weitergeht, brauche ich noch
Schneeketten für meinen Rollstuhl.«
    Wir hatten den Wohntrakt erreicht und ich hielt Bernges die
Tür auf. Als wir endlich im Trockenen waren, nahm er die Decke
von seinem Schoß, schüttelte sie vorsichtig aus und legte sie sich
wieder über die Beine.
    »Ich geh dann mal«, sagte ich, um schnell ins Schwimmbad
zu kommen.
    »Jana, bitte sag mir, wenn es mich nichts angeht, aber ich
werde das Gefühl nicht los, dass dich etwas bedrückt.«
    Ich wandte mich ab, um ihm nicht ins Gesicht sehen zu müssen.
»Nein, nein, alles in Ordnung. Ist vielleicht nur ein bisschen
viel im Moment.«
    Bernges nickte. »Halbjahresende. Ist immer das Gleiche. Alle
wollen plötzlich noch mit ihrem Programm fertig werden. Ich
ja auch.« Er lächelte. »Trotzdem. Wenn du ein Problem hast –
egal welcher Art – ich bin Vertrauenslehrer. Und selbst, wenn
ich das nicht wäre, weißt

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