Wie ein Flügelschlag
abzukühlen.
Die ersten Starts wurden angepfiffen und ich verließ das Becken.
In meinen Paradedisziplinen sollte ich heute gar nicht
antreten. Auch daran erkannte ich, dass Drexler dieses Turnier
als reines Training ansah. Während der ersten Läufe suchte ich
mir einen Platz hinter dem Sprungturm. Von hier aus konnte ich
das Geschehen im Becken beobachten und gleichzeitig Melanie
und ihren Bruder im Auge behalten. Für mich standen heute
nur 200 Meter Rücken und am späten Nachmittag dann noch
die Staffel auf dem Programm. Auch Melanie war nur für zwei
Starts vorgesehen. Drexler wollte verhindern, dass wir uns vor
dem wichtigen Sichtungstermin zu sehr auspowerten.
Melanie und ich würden im gleichen Lauf starten, und als wir
vom Hallensprecher aufgerufen wurden, sah ich, wie Mika wieder
zu mir herüberschaute und den Daumen hochhielt.
Auf dem Weg zum Becken begegnete mir Vanessa. »Lass die
Finger von Mika. Ich warne dich.« Sie bewegte kaum die Lippen,
als sie zu mir sprach. Die Kälte, die von ihr ausging, war beinah
körperlich zu spüren, und ich musste mich zwingen, nichts
zu erwidern.
Ein erster langer Pfiff ertönte. Zusammen mit den anderen
sprang ich ins Wasser und nahm meine Startposition ein. Melanie
hing zwei Bahnen weiter rechts unter dem Startblock.
Meine Hände packten den Haltegriff viel zu fest. Ich wusste,
ich sollte jetzt alles um mich herum ausblenden. Egal, was in der
Halle geschah, es durfte keine Rolle mehr spielen. Auch wenn
es nur ein Freundschaftsturnier war und wir vermutlich nicht
einmal mit ganzer Kraft schwimmen würden, sollte ich mich auf
meinen Lauf konzentrieren und auf sonst gar nichts. Vor mir lag
nicht eben meine Lieblingsdisziplin, aber das war egal.
Ich wartete auf den Start. Sah Drexler am Beckenrand. Wieland
ließ mich nicht aus den Augen. Nur noch wenige Sekunden.
Ein zweiter Pfiff. Ich versuchte, meinen Griff etwas zu lockern,
und wartete auf das Kommando.
Auf die Plätze …
Ich zog mich aus dem Wasser. Meine Muskeln waren gespannt
wie die Sehne eines Bogens. Fast gleichzeitig mit dem
Startkommando schnellten meine Arme nach hinten und ich
stieß mich vom Beckenrand ab. Doch mein Kopf wollte nicht
loslassen. Meine Gedanken überschlugen sich. Wenn du gegen
Mel kämpfst, kämpfst du gegen meinen Vater , hatte Mika gesagt.
Ich spürte, wie die Wut in mir die Kontrolle über dieses Rennen
übernahm. Aus dem Augenwinkel sah ich Melanie. Wir
waren etwa auf gleicher Höhe. Die Schwimmer auf den anderen
Bahnen zählten nicht. Alles, was zählte, waren Mel und ich
und die beiden Männer da draußen. Die Fragen hämmerten in
meinem Kopf, meine Arme droschen ins Wasser, Zug um Zug.
Ich wusste, dass ich zu schnell war, ich sollte nicht auf volle Leistung
gehen. Ich sah Melanie neben mir kämpfen, konnte ihr Erstaunen
über das Tempo dieses Laufs durch das Wasser spüren.
Aber die Wut trieb mich an. Ich will nur, dass du dich ein bisschen
zurücknimmst . Ich wollte mich nicht zurücknehmen.
Nach der ersten Wende lag ich vorne. Das Wasser im Becken
schien zu kochen, es brodelte wie die Wut in meinem Körper,
niemand durfte mich aufhalten. Ich wollte fliegen, verdammt,
ich hatte immer Flügel gewollt und hier im Wasser war ich meinem
Traum näher als irgendwo sonst. Und niemand würde mich
daran hindern. Das ist ein Kampf, den du nur verlieren kannst . Das
war möglich. Aber wer nicht kämpft, hat schon verloren, dachte
ich, und dann, endlich, gab es nur noch mich und das Wasser.
Die da draußen spielten keine Rolle mehr. Und die im Becken
auch nicht.
Als ich anschlug, wusste ich, dass ich gewonnen hatte. Sofort
ging mein Blick zur Tribüne, aber Mika war verschwunden.
Auch Wieland war nicht mehr da. Melanie schlug als Zweite an
und hing schwer atmend am Beckenrand. Wir warteten auf die
anderen, bevor wir aus dem Wasser stiegen. Früher hätten wir
uns abgeklatscht, hätten uns gefreut und zu dem Doppelsieg
gratuliert. Diesmal bemühten wir uns krampfhaft, uns nicht zu
begegnen.
Ich schnappte mir mein Handtuch und ging zu den Duschen.
Hinter mir ertönte bereits der Pfiff für den nächsten Lauf.
»Jana?!« Tom war völlig außer Atem. Man sollte meinen, er
und nicht ich sei eben 200 Meter geschwommen.
»Was ist los?«
»Du sollst sofort zu Drexler kommen. Er wartet unter dem
Sprungturm auf dich!«
»Zu Drexler? Jetzt?«
»Ich würde mich an deiner Stelle beeilen, bevor er explodiert.
« Tom versuchte ein Grinsen, das ihm gründlich misslang.
Ich wickelte das
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