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Wie ein Flügelschlag

Wie ein Flügelschlag

Titel: Wie ein Flügelschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Wilke
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er
mich deshalb vor seinem Vater gewarnt? Um mich aus dem Verkehr
zu ziehen? Bei dem Gedanken wurde mir schlecht.
    Ich schaute auf die Uhr. Es war schon spät. Vermutlich schliefen
die anderen längst. Und selbst, wenn einer von ihnen noch
wach war: Mit wem hätte ich reden sollen? Wem konnte ich
vertrauen? Ich stöhnte. Wenn ich nicht bald etwas unternahm,
würde mein Kopf platzen vor lauter unbeantworteten Fragen.
Und zu allem Überfluss war morgen Samstag. Meine Mutter
wartete auf mich. Und mit ihr konnte ich über all das am allerwenigsten
reden. Ärger an der Schule wäre für sie ein gefundenes
Fressen. Sie wartete doch nur auf einen Grund, mich aus
dem Internat zu nehmen.
    Es half alles nichts, ich musste dringend raus hier, musste
einen klaren Kopf bekommen.
    Mein Blick fiel auf meinen Schwimmanzug, den ich zum
Trocknen über einen Stuhl geworfen hatte. Es kam mir absurd
vor, jetzt an Sport zu denken. Aber aus Erfahrung wusste
ich, dass ein lockeres Schwimmtraining gegen die körperliche
Erschöpfung oft besser half, als sich auszuruhen. Außerdem
konnte ich nirgendwo besser nachdenken als im Wasser.
    Ob die Halle jetzt noch auf war? Ich konnte es ja mal probieren.
Von den anderen wusste ich, dass es eine zweite Tür gab,
eine, die sich öffnen ließ, wenn man den richtigen Trick kannte.
Tom hatte mir das am Anfang des Schuljahres mal erzählt. Ein
paar hatten sich zum nächtlichen Schwimmen verabredet und
mich gefragt, ob ich mitkommen wollte. Damals wollte ich nicht,
aber jetzt schien es mir eine gute Idee zu sein. Schlafen konnte
ich sowieso nicht. Also schlüpfte ich aus meinen Klamotten und
zog meinen Schwimmanzug an. Ich zuckte kurz zusammen, als
ich den noch nassen, kalten Stoff auf meinem Körper fühlte.
Meinen Trainingsanzug zog ich darüber.
    Leise öffnete ich die Zimmertür. Der Wohntrakt wurde zwar
nicht abgeschlossen, aber es war auch nicht erlaubt, ihn in der
Nacht zu verlassen. Ab 22:00 Uhr herrschte Nachtruhe im Gebäude
und alle sollten auf ihren Zimmern bleiben. Ab und zu,
besonders vor den Ferien oder auch mal vor dem Wochenende,
fanden im Wohntrakt noch Partys statt, aber die mussten offiziell
genehmigt werden. Heute war alles ruhig. Behutsam schloss
ich meine Zimmertür. Es dürfte kein Problem werden, das Haus
unbemerkt zu verlassen. Wir hatten schließlich alle eine anstrengende
Woche hinter uns.
    Langsam tastete ich mich im Dunkeln vorwärts. Ich wollte
kein Risiko eingehen. Endlich hatte ich die Treppe erreicht. Die
Zimmer der Mädchen lagen im zweiten Stock, die der Jungs
befanden sich im ersten. Im Erdgeschoss waren die Dienstwohnungen
der Lehrer untergebracht, die mit uns im Internat lebten.
Ich hatte gerade die erste Etage erreicht, als plötzlich das
Licht anging.
    Erschrocken blieb ich stehen. Hatte mich jemand gehört?
Rückwärts stieg ich wieder ein paar Treppenstufen nach oben.
Aus dem Jungentrakt kamen Geräusche. Schritte. Mein Herz
klopfte bis zum Hals, ich hielt die Luft an. Die Schritte kamen
näher. Langsam schlich ich zwei weitere Stufen nach oben. Wer
lief wohl so spät noch über die Flure?
    Plötzlich Stille. Eine Tür wurde geöffnet. Das Klacken war
so laut, dass ich zusammenzuckte. Dann fiel die Tür wieder
ins Schloss. Ich hockte mich auf die Treppenstufe und wartete.
Presste mein Gesicht an das kühle Geländer und versuchte, meinen
Atem zu beruhigen. Wieder wurde die Tür geöffnet. Eine
Klospülung war zu hören. Meine Erleichterung war so groß, dass
ich fast gelacht hätte. Die Schritte entfernten sich wieder und
nach einer Weile war alles ruhig. Langsam stieg ich die Treppe
hinunter.
    Im Erdgeschoss blieb ich noch einmal kurz stehen. Ich
lauschte. Musik. Vermutlich aus Bernges' Wohnung. Ob er noch
wach war? Ich stellte mir vor, wie er in seinem Wohnzimmer saß
und italienische Opern hörte.
    Als ich die Tür nach draußen öffnete, schlug mir kalte Luft
entgegen. Ein eisiger Wind hatte neuen Schnee gebracht.
    Ich sah hinüber zur Schwimmhalle. Sie lag vollkommen im
Dunkeln. Fröstelnd schlang ich die Arme um den Körper und
lief los. Eine Außenlampe leuchtete auf. Ich biss mir auf die Lippen,
um nicht aufzuschreien. Fast wäre ich gestolpert. Bewegungsmelder.
Daran hatte ich nicht gedacht. Der Schnee reflektierte
das Licht. Hoffentlich hatte mich noch niemand bemerkt!
    Ich beeilte mich, zur Halle rüberzukommen. Dort presste ich
mich an die Wand und beobachtete die Fenster vom Wohntrakt.
Kurz glaubte ich, einen Schatten zu erkennen, aber alles

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