Wie ein Flügelschlag
blieb
ruhig. Ich hatte mich geirrt.
Das Hoflicht war inzwischen wieder erloschen und der
Schnee schimmerte nur noch schwach. Langsam schob ich
mich an der Wand entlang zum Seiteneingang der Schwimmhalle.
Ich wollte nur schwimmen gehen, fühlte mich aber wie
kurz vor einem Einbruch in eine Bank. Endlich stand ich vor der
Tür, die Tom mir damals beschrieben hatte. Man muss den Türgriff
anheben und gleichzeitig drehen , hatte er gesagt. Das Schloss
sei kaputt. Hoffentlich war in der Zwischenzeit niemand auf die
Idee gekommen, es zu reparieren.
Ich zählte in Gedanken bis drei. Dann legte ich meine Hand
um den runden Griff und stemmte mich mit den Füßen in den
Boden. Auch wenn ich auf diese Weise nicht meine Probleme
löste, war es eine verdammt gute Methode, sie wenigstens für
einen Moment aus dem Kopf zu verbannen. Mit aller Kraft hob
ich die Tür ein winziges Stück an und tatsächlich – der Griff ließ
sich drehen. Die Tür sprang auf. Schnell schlüpfte ich hinein
und schob sie hinter mir wieder zu. Ich atmete tief durch und
versuchte, mich zu orientieren.
Im Gang war es stockfinster, aber an seinem Ende schimmerte
Licht. Langsam tastete ich mich vorwärts. Ich musste mich in
der Nähe der Putz- und Gerätekammern befinden. Hier wurde
alles aufbewahrt, was man zum Reinigen des Beckens und auch
für das Training benötigte. Schwimmbretter, Pullboys, Gummibänder.
Ich lief auf das schwache Leuchten am Ende des Gangs
zu. Und dann stand ich in der Schwimmhalle.
Obwohl hier kein Licht brannte, konnte man die Umrisse
des Beckens gut erkennen. Der Schnee draußen vor den großen
Glasfronten schimmerte silbern und die Wasseroberfläche
lag glänzend schwarz und ganz still vor mir. Ich schlüpfte aus
dem Jogginganzug und ließ mich ins Wasser gleiten. Ich musste
schwimmen. Auch wenn meine Arme und Beine sich schwer anfühlten.
Zwei, drei Armzüge lang war es ungewohnt, durch die
Dunkelheit zu gleiten. Aber dann schloss ich einfach die Augen.
Und schwamm. Ich musste nichts sehen. Ich fühlte das Wasser,
das mich trug. Und plötzlich wurden meine Arme wieder leicht
und bewegten sich wie von selbst. Ich spürte den Beckenrand,
bevor ich ihn erreichte. Sogar die Wenden machte ich mit geschlossenen
Augen. Ich schwamm, und die Fragen fielen von mir
ab wie lästiger Staub, der vom Wasser weggetragen wurde. Ich
tauchte den Kopf ins Wasser und konnte endlich wieder atmen.
Viel zu lange hatte ich die Luft angehalten. Bahn für Bahn legte
ich zurück und spürte, wie ich dabei immer leichter wurde. Das
Wasser trug mich, wie es mich immer getragen hatte.
Ich wusste nicht, wie lange ich geschwommen war, hatte keine
Ahnung, wie spät es war. Wie immer, wenn ich im Wasser war,
hatte ich Zeit und Raum um mich vollkommen vergessen.
Trotzdem hatte mir das Schwimmen geholfen, meine Gedanken
zu sortieren. Meine erste spontane Idee, Bernges oder einen
anderen Lehrer über Melanies Medikamentenkonsum zu informieren,
hatte ich inzwischen verworfen. Ich war mir sicher, dass
Melanie keinen halben Tag länger am Internat bleiben durfte,
wenn davon etwas bekannt würde. Es musste einen anderen
Weg geben.
Als ich wieder sicher in meinem Zimmer angekommen war,
hatte ich einen Plan gefasst. Gleich morgen würde ich zu Mel
nach Hause fahren. Diesmal würde ich mich nicht abwimmeln
lassen. Einen Grund hatte ich auch gefunden. Mikas Handschuhe
lagen noch in meinem Zimmer und warteten darauf,
von mir zurückgebracht zu werden. Den Gedanken, dass es
auch schön sein würde, Mika wiederzusehen, schob ich dabei
weit von mir.
Diesmal nahm ich nicht den ersten Bus nach Hause. Obwohl
ich wusste, dass meine Mutter wartete. Vermutlich heute sogar
frisch geduscht am angerichteten Frühstückstisch.
Es war immer das Gleiche. Stürzte sie ab, versuchte sie bei
nächster Gelegenheit, ihre Sache besonders gut zu machen.
Wie ein Hund, der um Liebe bettelt, wuselte sie dann um mich
herum und wartete darauf, dass ich ihr verzieh. Ich wusste das.
Und wehrte mich dagegen. Je mehr sie jammerte, desto mehr
machte ich dicht. Ich konnte nicht anders. Auch heute würde sie
warten müssen.
Statt den frühen Bus zu nehmen, stieg ich auf mein Rad und
fuhr zu dem Viertel, in dem Melanie mit ihrer Familie lebte. Mein
Kopf dachte an Mel, aber mein Bauch fühlte Mika. Ich konnte
nichts dagegen machen, so sehr ich es auch zu unterdrücken
versuchte. Aber ich war nicht hier, damit es meinem Bauch gut
ging. Ich war hier, um Melanie zu helfen. Und auch mir selbst.
Kann
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