Wie ein Flügelschlag
man jemandem helfen, der das gar nicht will? Die Antwort
auf diese Frage musste ich noch herausfinden.
Während ich das Rad abschloss, versuchte ich zu erkennen,
wie viele Autos heute unter dem Carport geparkt waren. Vielleicht
hatte ich Glück und Wieland hatte gerade Dienst. Ärzte
haben doch zu allen unmöglichen Zeiten Bereitschaft, sagte ich
mir.
Mist. Es standen beide Autos im Hof. Sollte ich klingeln? Es
war noch früh am Morgen, vielleicht lagen noch alle in ihren
Betten? Blöd, dass ich nicht wusste, hinter welchem Fenster
das Zimmer von Melanie lag. Dann hätte ich Steinchen an ihre
Scheibe werfen können, wie in einem schlechten Film.
Ich zog mein Handy aus der Jackentasche. Ich konnte versuchen,
sie anzurufen. Oder ihr wenigstens eine SMS schreiben.
Während ich noch überlegte, was ich hier eigentlich machte
und wie es jetzt weitergehen sollte, wurde die schwere Haustür
geöffnet. Schnell steckte ich das Handy wieder ein, zog meine
Mütze tiefer in die Stirn und trat hinter einen der großen Bäume,
die den Straßenrand säumten. Von meinem Platz aus konnte ich
nicht erkennen, wer da aus dem Haus gekommen war. Es konnte
Wieland sein. Oder? Wer auch immer es war, er stieg nicht in
eins der Autos, sondern schlenderte die lange Auffahrt entlang.
Erst als er an dem großen schmiedeeisernen Tor angekommen
war, erkannte ich ihn. Mika. Sofort schlug mein Herz bis zum
Hals. Hör auf damit!, schrie eine Stimme in mir drin.
Mika war gerade durch das Tor auf die Straße getreten. Ich
zog mir die Handschuhe aus und verließ mein Versteck.
»Jana? Was machst du denn hier? Bist du aus dem Bett gefallen?
«
»Ich wollte dir die Handschuhe zurückbringen, bevor ich
den Bus nach Hause nehme.«
»Du bist extra heute früh hier rausgeradelt, um mir ein paar
alte Handschuhe zu bringen?« Skeptisch zog Mika die Augenbrauen
hoch. Die Handschuhe, die ich ihm hinhielt, ignorierte
er einfach.
Er hatte recht. Mein Vorwand klang absolut bescheuert. Ich
knetete die Handschuhe zwischen meinen Händen und beschloss,
bei der Wahrheit zu bleiben.
»Ist Melanie zu Hause?« Ich sprach leise, hatte Angst, dass
vielleicht doch noch jemand herauskäme und mich hören
könnte.
»Mel? Die schläft noch. Warum? Ist was passiert?«
Ich sah an ihm vorbei zum Haus. Aber dort war alles ruhig.
»Wohin gehst du?«, fragte ich ihn statt einer Antwort.
»Ich wollte zum Bäcker. Brötchen holen. Willst du mitkommen
und anschließend mit uns frühstücken?« Er setzte sich einfach
in Bewegung.
Ich schüttelte den Kopf. Nein. Dieses Haus wollte ich auf gar
keinen Fall wieder betreten. Außerdem wartete meine Mutter
auf mich. Ich lief trotzdem neben ihm her.
»Ich kann nicht. Ein andermal vielleicht. Ich …«, verzweifelt
überlegte ich, wie viel ich ihm sagen konnte. Was wusste er
und was durfte er wissen? »Ich muss mit Melanie reden, Mika.
Dringend.«
»Und ich dachte schon, du hättest dir vielleicht meinetwegen
die Mühe gemacht, so früh aufzustehen.« Er lächelte und
berührte mich am Arm. Ich zuckte zurück, als ob er mich verbrannt
hätte.
»Kannst du ihr das bitte ausrichten? Sie soll mich anrufen.
Auf dem Handy. Sie weiß, worum es geht. Ich fahre übers Wochenende
nach Hause zu meiner Mutter. Aber ich bin erreichbar.
«
Wenn er von meiner Reaktion enttäuscht war, dann ließ er
sich das zumindest nicht anmerken. Er nickte nur. »Du machst
es ja spannend. Aber klar, ich werde es ihr sagen. Hat sie deine
Nummer?«
»Ja, hat sie.« Schweigend gingen wir nebeneinander her.
»Mika, sag mal«, ich holte tief Luft, »hat Mel irgendetwas
zu Hause erzählt? Ich meine, vom letzten Wettkampf oder vom
Sichtungsschwimmen oder so?« Im selben Moment bereute ich
meine Frage. Mika war dabei gewesen, fiel mir ein. Er hatte gesehen,
was passiert war. Er wusste von der Disqualifikation und
meinem Rausschmiss aus der Staffel. Natürlich wusste er das.
Und dann musste ich an Vanessa denken.
Mika war stehen geblieben und schaute mich nachdenklich
an.
»Nein, was hätte sie denn erzählen sollen? Ich weiß, dass der
Termin nächste Woche wohl sehr wichtig ist. Aber das hatten
wir ja schon. Mein Vater spricht von fast nichts anderem mehr.
Und es ist wie immer. Zu Hause ist dicke Luft. Je mehr mein
Vater redet, desto schweigsamer wird Mel. Aber spätestens
nächste Woche ist der Spuk vorbei.« Mika beschleunigte seine
Schritte wieder. Ich sah die Bäckerei auf der anderen Straßenseite.
»Wartest du kurz? Ich bin gleich wieder da.«
Ich
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