Wie ein Flügelschlag
Klinik bringen musste, als
er sie vergessen hatte.«
Er schaut mich bedeutungsvoll an, dann fährt er fort.
»Gestern wollte ich mir Melanies Karte ansehen. Ich meine,
wenn sie ein schwaches Herz hatte oder sonst irgendwelche
Herzprobleme, dann müsste man das doch vorher gemerkt
haben, oder?«
Ich runzle nachdenklich die Stirn. Musste man das? Gab es
nicht immer wieder Menschen, die an Herzversagen starben,
ohne je vorher etwas davon gemerkt zu haben? Und wenn eine
solche Vorerkrankung oder auch nur ein solcher Verdacht bestand,
hätte Wieland als Arzt seine Tochter doch niemals einem
so harten Training ausgesetzt?
Mika muss meine Zweifel gespürt haben, denn noch bevor
ich etwas erwidern kann, sagt er: »Ist ja auch egal, ob nun vorher
etwas bekannt war oder nicht. Wir werden das sowieso nicht
mehr herausfinden.« Er sieht mich an. »Melanies Karte ist
weg.« Und als ich ihn immer noch verständnislos anstarre, setzt
er hinzu: »Alle anderen Karten sind da, wo sie sein sollen. Nur
die Karte von Mel fehlt. Jemand hat sie absichtlich verschwinden
lassen.«
»Aber warum? Was soll das bringen?«
Mika schluckt und starrt auf seine Hände.
»Ich glaube inzwischen, dass du recht hast, Jana. Was, wenn
mein Vater Melanie wirklich mit diesen Tabletten versorgt
hat … Er muss doch darüber Buch geführt haben. Sich notiert
haben, wann sie wie viele davon genommen hat. Und jetzt, wo
meine Schwester tot ist«, Mika schluckt, und ich sehe, wie er mit
den Tränen kämpft, »jetzt versucht er alles, um zu vertuschen,
dass er etwas damit zu tun hat.«
Der Schmerz in Mikas Augen zerreißt mir fast das Herz. Ich
begreife, wie schwer es ihm fallen muss, seinen eigenen Vater zu
verdächtigen.
»Mika?« Ich lege eine Hand auf seinen Arm und warte, bis
er mich anschaut. »Da ist noch etwas anderes.« Ich hole mein
Handy aus der Tasche und stehe auf. »Melanie hatte mir eine
letzte SMS geschrieben.«
Er starrt mich an. »Was für eine SMS?«
Während ich weiterspreche, greife ich nach dem Handy und
öffne den Mitteilungseingang. Unsere Gesichter sind sich jetzt
ganz nah.
»Wir wollten uns treffen. Ich habe dir doch erzählt, dass ich
tagelang versucht habe, mit Mel zu reden.« Er nickt. »Am Sonntagabend
hat sie endlich zugestimmt. Sie schickte mir eine SMS
und wollte sich mit mir am nächsten Morgen vor dem Frühsport
treffen. An der Bushaltestelle.« Meine Stimme droht zu versagen,
aber ich schlucke die Eissplitter wieder hinunter und halte
ihm mein Handy hin. »Ich habe umsonst gewartet.«
Ich sehe, wie es hinter Mikas Stirn arbeitet. »Am Sonntagabend?
«
Ich nicke langsam. Ich weiß, dass er jetzt genau das Gleiche
denkt wie ich.
»Um wie viel Uhr?«
»Zweiundzwanzig Uhr.«
»Aber«, Mika sieht mich an, »aber da war sie doch schon …
tot.«
Ich nicke wieder. So ist es uns gesagt worden, ja. Als die Putzfrau
Melanie am frühen Morgen im Wasser fand, war sie schon
lange tot. Sie muss am späten Nachmittag nach mir und Tom
noch einmal in der Halle trainiert und beim Schwimmen einen
Herzanfall bekommen haben. Das war zumindest die offizielle
Version. Keine Ahnung, warum mir nicht gleich aufgefallen ist,
dass daran etwas nicht stimmen konnte.
Mika und ich sehen uns an.
»Wenn meine Schwester schon tot war, wer hat dir dann die
SMS geschickt?« Er flüstert, als könne derjenige gerade mit uns
in diesem Park sein.
Ich beiße mir auf die Lippen. »Das ist nur eine der möglichen
Fragen«, antworte ich ihm schließlich. Er schaut mich verständnislos
an. »Und was sind die anderen?«
Ich hole tief Luft.
»Wann ist Mel wirklich gestorben?«
»Du meinst …«
»Geh doch mal davon aus, dass die SMS tatsächlich von ihr
war«, falle ich ihm ins Wort.
»Das würde bedeuten, dass sie um zweiundzwanzig Uhr
noch gelebt hat.«
»Pst! Nicht so laut.« Ich greife nach seinem Handgelenk.
»Wann hast du Mel das letzte Mal gesehen?«, frage ich ihn
dann. »War sie am Nachmittag noch zu Hause?«
Er schüttelt den Kopf. »Ich weiß es nicht.« Seine Stimme
klingt verzweifelt. »Wir waren am Sonntag beim Frühstück das
letzte Mal zusammen, danach war ich den ganzen Tag über bei
einem Kumpel und habe auch dort übernachtet.«
Ich überlege fieberhaft. »Wenn Melanie die SMS tatsächlich
selbst geschrieben hat, dann muss sie zu der Zeit nicht nur noch
am Leben gewesen sein, das würde auch bedeuten, dass sie am
Sonntag nach zweiundzwanzig Uhr im Schwimmbad war …«
»Richtig«, fällt mir Mika ins Wort. »Und weil das
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