Wie ein Flügelschlag
des Schulleiters.
Der Direktor steht am Fenster und sieht nach draußen, als ich
den Raum betrete. Unschlüssig bleibe ich stehen. Was soll ich
jetzt machen? Soll ich mich räuspern, um auf mich aufmerksam
zu machen? Soll ich laut grüßen, damit er weiß, dass ich da bin?
Oder wäre es unhöflich, ihn aus seinen Gedanken zu reißen?
Soll ich mich einfach setzen und warten, bis er mich anspricht?
Ich stehe noch da und überlege, als er sich vom Fenster abwendet.
»Ah, Jana Schwarzer? Schön, dass du gekommen bist. Bitte
setz dich doch.« Er zeigt auf einen freien Stuhl. Er selbst nimmt
hinter dem Schreibtisch Platz. Dann mustert er mich lange.
Ich verknote meine Beine unter dem Stuhl und weiß nicht,
wohin mit meinen Händen.
»Wie geht es dir heute?«
Irritiert schaue ich ihn an. Was soll das? Als ich nicht gleich
antworte, seufzt er tief.
»Jana«, er beugt sich über den Schreibtisch. »Glaub mir, ich
verstehe dich gut. Ich habe gehört, dass du dabei warst, als wir
Melanie gefunden haben.« Er sagt wir, registriere ich, dabei war
er überhaupt nicht dabei. Er hat nicht ihre Augen gesehen, ihre
aufgefächerten Haare. Nicht ihre nackten Arme, noch nass von
dem Wasser, aus dem man sie gezogen hatte und in dem sie nie
mehr schwimmen würde. Mag sein, dass sie ihn dann sofort gerufen
haben. Aber als Melanie tot auf dem Hallenboden lag, war
er nicht dabei.
Er räuspert sich und lehnt sich in seinem Sessel zurück.
»Es muss ein furchtbarer Schock für dich gewesen sein, deine
beste Freundin auf diese Weise zu verlieren.«
Ich will erwidern, dass sie nicht meine beste Freundin war,
aber er lässt mich gar nicht erst zu Wort kommen.
»Es tut mir leid, dass wir es nicht geschafft haben, dir diesen
Anblick zu ersparen.« Er beugt sich wieder zu mir vor. »Es
war unverantwortlich von den Kollegen, dass sie dich nicht von
der Schwimmhalle ferngehalten haben. Aber es ist nun einmal
passiert und Versagen ist menschlich.« Er lächelt und ich fühle
mich wie im falschen Film. Warum lächelt er jetzt?
»Ich habe gehört, was gestern im Deutschunterricht vorgefallen
ist, und ich möchte mich bei dir im Namen deiner Mitschüler
entschuldigen.«
Ich glaube, mich verhört zu haben.
»Wieso …? Warum …?«, stammele ich. »Haben … haben
die anderen das so gesagt?«, bringe ich schließlich heraus.
Der Direktor schüttelt den Kopf. »Das muss mir keiner sagen.
Ich weiß auch so, wie leid ihnen ihr Verhalten tut. Wir stehen
einfach alle noch unter Schock. So eine gute Schülerin. Und so
ein hübsches Mädchen.« Versonnen schaut er erneut aus dem
Fenster, bevor er fortfährt. »Da sagt man im ersten Moment vor
lauter Schreck schon einmal Sachen, die man nicht so meint.
Oder?« Er wendet sich mir zu.
Sie meinen es nicht so . Wieder mal.
»Ich möchte dir einen Vorschlag machen, Jana.« Er beugt
sich über den Tisch, seine Rechte greift nach einem Kugelschreiber,
und er fängt an, auf seine Schreibtischunterlage zu kritzeln.
»Was für einen Vorschlag?«, frage ich. Fast bin ich erstaunt,
dass mir meine Stimme überhaupt noch gehorcht.
Er kritzelt noch ein wenig weiter, dann nickt er, als sei ihm die
Idee in diesem Augenblick gekommen.
»Das neue Halbjahr hat gerade erst angefangen.« Er blättert
in seinem Kalender. »Was hältst du davon, wenn ich dich noch
ein paar Tage beurlaube? Fahr nach Hause, leg dich ins Bett und
ruh dich ein wenig aus. Mit deinen Lehrern habe ich schon gesprochen
«, sagt er schnell, als er sieht, dass ich etwas erwidern
will. »Sie sind alle der Meinung, dass du gut ein paar Tage fehlen
kannst, ohne dass dies deine sehr konstanten Leistungen
beeinträchtigen wird.« Gespannt sieht er mich an. »Nun, was
meinst du?«
Was ich meine? Ich verstehe nicht, was das soll. Natürlich
klingt es zunächst mal gut, sich nur für ein paar Tage beurlauben
zu lassen, wenn man eigentlich mit einem kompletten
Rausschmiss gerechnet hat. Aber was will der Direktor damit
bezwecken? Ich sehe keinen Sinn darin, nach Hause zu fahren.
Langsam schüttele ich den Kopf.
»Danke.« Ich suche nach den richtigen Worten. »Das ist
sehr freundlich. Aber ich möchte lieber hierbleiben.«
Ich sehe seinen hochgezogenen Augenbrauen an, dass er mit
dieser Antwort nicht gerechnet hat. »Ich denke, es ist auf jeden
Fall besser, wenn du erst mal ein paar Tage zu Hause bleibst.
Eine Woche, maximal zwei …«
»Aber ich will nicht nach Hause«, unterbreche ich ihn. »Was
soll das bringen? Melanie ist tot«, ich sehe, wie
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