Wie ein Flügelschlag
dumm
ist sie nicht. Sie musste nur mein Gesicht sehen, die bis zum
Platzen gefüllte Sporttasche in meiner Hand und meinen Rucksack,
um zu begreifen, was passiert war.
Nachdem Drexler mich erwischt hatte, ging alles sehr schnell.
Er ließ mich keine Sekunde mehr aus den Augen. Während ich
mich anzog, schob er vor der Umkleide Wache. Es hätte mich
nicht gewundert, wenn er mich auch beim Umziehen noch am
Arm festgehalten hätte.
Von der Schwimmhalle ging es direkt zum Büro des Direktors.
Diesmal mussten wir nicht warten, wir wurden sofort hereingerufen.
Drexler ließ sich in einen der Sessel fallen, als läge die ganze
Last der Welt auf ihm. Mich bat der Direktor nicht, Platz zu nehmen,
sodass ich die ganze Zeit vor seinem Schreibtisch stand,
was mich nur umso nervöser machte.
Dann schilderte Drexler mit knappen Sätzen, was vorgefallen
war. Ich hörte Worte wie »Vertrauensbruch«, »mangelnde Disziplin
«, »Ungehorsam« und »unbelehrbar« und irgendwann
fiel auch das Wort »Diebstahl«. Da erst begriff ich, dass Drexler
tatsächlich behauptete, ich sei heimlich in den Umkleidekabinen
herumgeschlichen und hätte meine Mitschüler bestohlen.
Mir wurde schlecht vor Wut. Ich wollte den Mund aufmachen,
wollte schreien, dass es so nicht war, dass mich die Sachen meiner
Mitschüler überhaupt nicht interessierten, wollte von den
Medikamenten erzählen, die ich in Drexlers Tasche gefunden
hatte, aber ein Blick in die Augen des Direktors zeigte mir, dass
er mir nicht glauben würde. Ich konnte mir jedes einzelne Wort
sparen.
Zumindest in diesem Moment.
Für ihn war ich das arme mittellose Ding, dem herzensgute
Menschen eine Chance geben wollten, weil ich Talent hatte und
weil man fand, ich hätte eine Chance verdient. Aber leider, leider
war ich in einer Gegend aufgewachsen, in der es vor Kriminalität
nur so strotzte, und deshalb war auch ich nicht frei davon,
und jetzt würden sie mich wieder zurückschicken, dahin, wo
ich hergekommen war. Es galt, die anderen Schüler vor mir zu
schützen.
Während der ganzen Rede, die der Direktor hielt, dachte ich
immer nur an Mika und daran, dass wir jetzt nie an die Schlüssel
zu Drexlers Büro kommen würden, dass ich es total versiebt
hatte und wie enttäuscht er sein würde. Ich biss mir die Lippen
blutig, um nicht vor Wut zu heulen.
Ich hörte, dass man mich von der Schule werfen und dass ich
wohl auch mein Stipendium verlieren würde, aber ich begriff
nicht wirklich, was das alles bedeutete.
Während des ganzen Gesprächs, den Beschimpfungen von
Drexler, den Belehrungen des Direktors, gab es nur einen Gedanken
in meinem Kopf: Drexlers Tasche war voll mit Construnit.
Was machte er damit? Für wen waren die Medikamente?
Jetzt waren es schon drei, die mit dem Betäubungsmittel zu tun
hatten. Okay, von Wieland wussten wir es nicht genau, aber er
war der Arzt, er war der Einzige, der überhaupt an das Mittel
rankam. Dann Mel und jetzt auch noch Drexler. Ich fühlte mich,
als ob ich in ein riesiges schwarzes Loch fallen würde.
»Jana?«
»Wie bitte?«
Der Direktor runzelte die Stirn. Vermutlich begriff er erst
jetzt, dass ich schon vor einer ganzen Weile abgeschaltet hatte.
»Ich habe dich gefragt, wie wir deine Mutter erreichen können.
Ich habe versucht, sie anzurufen, aber sie geht nicht an ihr
Handy.«
Natürlich nicht. Meine Mutter arbeitete im Baumarkt. Da
hatte sie ihr Handy immer ausgeschaltet. Ich zuckte mit den
Schultern.
»Wir müssen sie anrufen und informieren. Du bist noch
nicht volljährig.«
»Sie ist erst abends zu erreichen.«
Damit hatte er nicht gerechnet. Ich konnte förmlich sehen,
wie es hinter seiner Stirn arbeitete. Als er mir seinen Entschluss
verkündete, fiel ich fast in Ohnmacht.
»Du gehst jetzt in dein Zimmer und packst deine Sachen.
Dafür hast du eine Stunde Zeit. Dann wird dein Trainer«, er
warf Drexler einen Blick zu, »dich mit seinem Auto nach Hause
fahren. Alles andere werden wir deiner Mutter in einem Brief
mitteilen.«
Mit Drexler in einem Auto? Niemals.
Ich wollte etwas erwidern, wollte sagen, dass ich sehr gut allein
zurechtkam, dass ich kapiert hatte und mein Zeug packen
und verschwinden würde. Aber ich konnte nicht. Ich brachte
in Drexlers Gegenwart keinen Ton mehr raus. Und da begriff
ich, dass es nicht einfach daran lag, dass er ein Arschloch war
und ich ihn nicht leiden konnte. Es lag daran, dass mich bei dem
Gedanken, mit Drexler in einem Auto zu sitzen, nackte Angst
überfiel. Wenn Drexler auch etwas mit
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