Wie ein Flügelschlag
dem
Construnit
zu tun
hatte, konnte es ebenso gut sein, dass er schuld an Mels Tod war.
Oder zumindest mehr darüber wusste, als er je zugeben würde.
Ich durfte nicht mit ihm allein sein. Auf gar keinen Fall!
Verzweifelt versuchte ich, mir meine Panik nicht anmerken
zu lassen. Meine Hände fingen an zu zittern und ich konnte
nichts dagegen tun. Ich wollte nur noch raus hier. Also nickte
ich einfach nur schnell und rannte geradezu in mein Zimmer.
In einer Stunde sollte ich mich mit meinem Gepäck wieder im
Sekretariat melden, meine Bücher abgeben und irgendwelche
Formulare unterschreiben. Ich hatte nur eine Stunde, um zu entkommen.
Erst befürchtete ich schon, Drexler könnte die ganze Zeit
über vor meinem Zimmer Wache schieben. Aber offensichtlich
hatte mein ängstliches Gestammel sie überzeugt. Der Direktor
und mein Trainer gingen davon aus, dass sie mich endlich kleingekriegt
hatten. So klein, dass ich von jetzt an mit ihnen zusammenarbeiten
und keine Schwierigkeiten mehr machen würde.
In meinem Zimmer riss ich den Schrank auf, zerrte meine
Klamotten heraus und warf sie aufs Bett. So schnell ich konnte,
stopfte ich alles in meine Sporttasche. Den Reißverschluss ließ
ich offen, die Tasche war viel zu voll. Den Rest warf ich in meinen
Rucksack. Ich schaute mich noch einmal um. Für einen Moment
blieb mein Blick an Michael Phelps hängen. Nichts außer
schlafen, essen und schwimmen . Das Poster musste hierbleiben.
Meine Schulsachen auch.
Ich überlegte erst, mit dem Rad nach Hause zu fahren, ließ
es dann aber doch lieber bleiben. Draußen war es immer noch
eiskalt, und außerdem wollte ich nicht Drexler in die Arme laufen,
wenn ich erst den Umweg über den Fahrradkeller machen
würde. Je schneller ich von hier wegkam, desto besser.
Auf dem Weg nach draußen begegnete mir kein Mensch.
Im Erdgeschoss hörte ich Musik aus Bernges' Wohnung. Ich
zögerte. Wenn mir einer helfen konnte, dann war er das. Kurz
spielte ich mit dem Gedanken, bei ihm zu klopfen und ihm zu
erzählen, was passiert war. Aber dann verwarf ich die Idee sofort
wieder. Der Direktor hatte mich vom Unterricht suspendiert.
Daran würde auch Bernges nichts ändern können. Und es war
besser, nicht mehr zu vertrauen. Niemandem.
Ich schlüpfte aus dem Haus und rannte zur Bushaltestelle.
Zum Glück musste ich nicht lange auf einen Bus warten. Die
Leute murrten, als ich mich mit meinem Gepäck durch den
schmalen Gang an ihnen vorbeiquetschte, aber ich wollte ganz
nach hinten, so weit weg wie möglich von der Tür. Erst als der
Bus losfuhr, wagte ich es, wieder zu atmen.
Meine Mutter greift zu ihren Zigaretten. Genau einen halben
Tag hat sie es durchgehalten, nicht in der Wohnung zu rauchen,
schießt es mir durch den Kopf. Einen halben Tag nur.
»Hör zu, Jana, ich weiß zwar nicht, was gestern genau passiert
ist, aber es war nicht richtig, dass sie dich nach Hause geschickt
haben.«
Keine Ahnung, was ich darauf erwidern soll. Ich kann ohnehin
kaum einen klaren Gedanken fassen. Die haben mir mein
Stipendium weggenommmen. Dabei muss ich unbedingt an
diese Schule zurück. Ich kann nicht hierbleiben. Aber will ich
das wirklich? An eine Schule zurück, die gerade dabei ist, einen
Dopingskandal zu vertuschen? Ich renne weiter im Kreis.
So muss sich ein Tier in der Falle fühlen, denke ich.
Doch im Augenblick habe ich keine Zeit, mir weiter den Kopf
darüber zu zerbrechen. Ich muss mit Mika sprechen. Er muss
wissen, was passiert ist.
Gestern Abend habe ich ihm noch eine SMS geschrieben. Da
ich Angst hatte, dass seine Eltern an sein Handy gehen könnten,
habe ich mich nicht getraut, ihm mitzuteilen, was ich herausgefunden
habe. Wenn die Schule tatsächlich versucht, etwas zu
verheimlichen, haben sie vielleicht auch Mikas Vater informiert.
Also habe ich nur geschrieben, dass etwas passiert ist und dass
wir uns dringend sehen müssen. Alle zehn Minuten kontrolliere
ich nun schon mein Handy. Aber von Mika kommt noch immer
keine Antwort. Wenn er sich bis heute Mittag nicht meldet, beschließe
ich, dann fahre ich zu ihm nach Hause. Ist mir egal, ob
Wieland mich rausschmeißt. Ich muss Mika sehen.
»Wollen wir uns zur Feier des Tages Pizza bestellen?«
Zur Feier des Tages? Ich starre meine Mutter verständnislos
an. Erst als ich ihren erschrockenen Gesichtsausdruck sehe,
begreife ich. Meiner Mutter bereitet es überhaupt keine Bauchschmerzen,
dass ich vielleicht von der Schule geflogen sein und
mein Stipendium verloren haben könnte. Für sie ist das
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