Wie ein Flügelschlag
ein
Grund zum Feiern. Sie freut sich. Heute Morgen hat sie sich
im Baumarkt krankgemeldet, und ich hatte angenommen, sie
wollte einen Tag zu Hause bleiben, weil ihr die Sache mit mir
doch allmählich an die Nieren ging. Wie sehr ich mich geirrt
habe, sehe ich jetzt in ihrem schuldbewussten Blick.
Birds in cages sing of freedom …
In diesem Moment klingelt mein Handy. Mika. Ich renne aus
der Küche in mein Zimmer, werfe die Tür hinter mir zu und
schließe ab.
»Mika, endlich.«
»Was ist passiert?«
»Kannst du sprechen? Bist du allein?« Als er bejaht, erzähle
ich ihm so knapp wie möglich die Ereignisse des gestrigen Tages.
»Verdammt. Drexler also.«
Ich nicke, da fällt mir ein, dass Mika das gar nicht sehen kann.
»Ja, Drexler hatte die Tasche voll mit dem Zeug. Aber …«, ich
habe gestern noch lange über die Sache nachgedacht, und ich
bin froh, endlich mit jemandem darüber sprechen zu können,
»gehen wir mal davon aus, dass Drexler es war, der Melanie mit
dem Dopingmittel zu einer große Karriere verhelfen wollte.
Würde ja passen. Schließlich war er es auch, der mich zwingen
wollte, Mel den Sieg zu überlassen«, erinnere ich Mika an Drexlers
Erpressungsversuch.
»Wenn also Drexler hinter dem ganzen Mist mit diesem
Construnit
steckt, warum zur Hölle behauptet dein Vater dann,
dass Melanie ohne irgendwelche Einflüsse an Herzversagen gestorben
sei? Die müssen doch bei der Obduktion festgestellt
haben, dass da was nicht stimmt. Das kann dann also nur bedeuten,
dass dein Vater und Drexler unter einer Decke stecken.« Es
bricht mir das Herz, als ich mir Mikas Gesicht vorstelle.
»Ich denke, so muss es gewesen sein«, rede ich schnell weiter.
»Dein Vater wollte Melanie oben sehen, mit allen Mitteln. Er besorgt
das
Construnit
. Gibt es Drexler. Damit der Melanie damit
versorgt. Dann ist etwas schiefgegangen. Mel stirbt an Herzversagen.
Und weil Drexler natürlich sofort verraten würde, wer
ihm das Zeug beschafft hat, hält dein Vater dicht. Um Drexler
und auch sich zu schützen. Was meinst du?«
Mika schweigt. Sagt lange Zeit überhaupt nichts.
»Mika?«
»Du hast etwas vergessen«, antwortet er leise. »Du hast Mel
vergessen, Jana.«
»Mel?« Ich verstehe nicht.
»Melanie hätte niemals freiwillig irgendwas geschluckt, um
zu dopen. Weder aus der Hand meines Vaters noch aus der
Hand ihres Trainers. Und außerdem«, setzt er schnell hinzu, als
er merkt, dass ich etwas erwidern will, »ich habe auch mal ein
bisschen rumgegoogelt. Dieses
Construnit
, wie übrigens alles,
was unter diesen Oberbegriff Liquid Ecstasy fällt, wird vom
Körper so schnell abgebaut, dass ein Nachweis schon nach ein
paar Stunden extrem schwierig wird. Es kann also sein, dass bei
der Obduktion tatsächlich nichts gefunden wurde. Zumindest
dann, wenn Melanie schon viel länger tot war, als angenommen
wird.« Mika schweigt.
Na super. Die ganze Aktion hat uns keinen Schritt weitergebracht.
Okay. Wir wissen jetzt, dass Drexler auch in diese
Doping-Geschichte verwickelt ist. Und sonst? Ich bin von der
Schule geflogen, mein Stipendium wurde gestrichen …
Plötzlich macht sich ein bitterer Geschmack in meinem
Mund breit. Ich habe das nicht gewollt. Ich habe das alles, verdammt
noch mal, nicht gewollt. Ich schlucke und schlucke, aber
der Geschmack geht nicht weg. Es wird immer mehr, breitet sich
aus in meinem Mund, und ich habe Angst, noch etwas zu sagen.
»Jana?«
Ich kann nicht antworten. Ich presse die Lippen zusammen
und lege auf. Dann schiebe ich das Handy unter mein Kopfkissen
und gehe ins Bad. Immer wieder spüle ich meinen Mund
mit kaltem Wasser aus. Lasse es direkt aus dem Hahn in meinen
Mund laufen und hoffe, dass ich die Bitterkeit so wegschwemmen
kann. Aber es hilft nichts. Der schlechte Geschmack bleibt.
Ich heule und spüle mit Wasser und huste. Doch es geht nicht
weg.
»Jana! Es ist nicht deine Schuld.«
Erschrocken werfe ich einen Blick in den Spiegel. Meine Mutter
steht hinter mir. Wie lange schon? Ich habe sie nicht hereinkommen
hören.
Es ist nicht deine Schuld
. Natürlich ist es meine
Schuld. Ich drehe den Hahn zu und wische mir mit dem Ärmel
übers Gesicht. Hätte ich gleich am Anfang nachgegeben, könnte
Melanie heute noch leben.
»Melanie hätte nicht so viel trainieren müssen. Du kannst
doch nichts dafür, dass sie es vor lauter Ehrgeiz so übertrieben
hat.«
»Halt den Mund! Verdammt noch mal, halt endlich den
Mund!« Ich schreie das Spiegelbild meiner Mutter an. »Was
weißt du denn
Weitere Kostenlose Bücher