Wie ein Flügelschlag
Notwendigkeit.
Ich schlüpfe aus meiner Jeans und lausche den Geräuschen,
die es bis zu mir schaffen. Endlich habe ich meinen Schwimmanzug
an. Meine Kleider schiebe ich zu einem einigermaßen
ordentlichen Haufen auf dem Fußboden zusammen und folge
dem diffusen Schimmer, der am Ende des Ganges auf mich wartet.
Platsch, platsch, atmen, platsch, platsch, atmen. Ganz automatisch
passe ich mich diesem Rhythmus an.
Abrupt bleibe ich stehen. Etwas stimmt hier nicht. Angestrengt
horche ich in die Dunkelheit. Ich halte die Luft an. Verdammt.
Ich bin nicht allein. Jemand ist hier. Und dieser Jemand
schwimmt im dunklen Becken und gibt mir den Atemrhythmus
vor.
Ich drücke mich an die Wand und schiebe mich langsam vorwärts.
Ich bin ehrlich gespannt, wer so versessen aufs Schwimmen
ist, dass er offensichtlich heimlich trainiert.
So muss Mel vor zwei Wochen trainiert haben, schießt es mir
durch den Kopf, und einen kurzen durchgeknallten Moment
frage ich mich, ob es Mel sein könnte, die uns alle zum Narren
hält.
Jetzt kann ich das Becken sehen. Eng an die Wand gepresst,
stehe ich hinter dem Durchgang zur Schwimmhalle und versuche,
etwas in der Dunkelheit zu erkennen. Wer immer hier
schwimmt, will nicht gesehen werden, sonst hätte er das Licht
angeschaltet.
Platsch, platsch, atmen.
Alles in mir sehnt sich danach, ins Wasser zu springen und
sich diesem Takt anzupassen.
Ein langsamer gleichmäßiger Rhythmus, nicht die schnellen
Schläge eines Wettkampfs, sondern Armzüge mit langen Gleitphasen.
So schwimmt einer, der im Wasser atmet, denke ich,
und dann sehe ich ihn.
Dass es ein Schwimmer ist und keine Schwimmerin, erkenne
ich sofort an dem hellen glänzenden Rücken, der unter der
Wasseroberfläche schimmert. Kein Badeanzug, sondern nackte
Haut. Die Arme kommen kraftvoll und gleichmäßig aus dem
Wasser, mit jedem Zug schiebt sich der Schwimmer so weit nach
vorne, als hätte er unter Wasser ein Seil gefunden, das ihn zieht.
Für einen Augenblick beobachte ich völlig fasziniert die ruhigen
kraftvollen Bewegungen, die so selbstverständlich ausgeführt
werden, als ob dieser Mensch im Wasser aufgewachsen
wäre und nicht an Land. Ohne zu wissen, wer er ist, fühle ich
mich ihm sofort verbunden.
Der Schwimmer hat das Ende des Beckens erreicht. Er ist
zu weit weg, sodass ich ihn nicht richtig sehen kann, es ist zu
dunkel. Etwas hat die gleichmäßigen Bewegungen gestört. Eine
Pause. Eine Pause, die länger war, als sie hätte sein dürfen. Ich
halte die Luft an und fange erst wieder an zu atmen, als das regelmäßige
Platschen erneut zu mir rüberklingt. Aber irgendetwas
fehlt. Er kommt näher. Er atmet zur linken Seite, sein Gesicht
kann ich nicht sehen. Ich weiche noch einen Schritt zurück in
mein Versteck. Wer ist das?
Der Schwimmer nähert sich dem Beckenrand. Jetzt müsste er
zur Rollwende ansetzen, aber er schwimmt weiter auf den Rand
zu. Stößt mit den Händen an und wendet. Keine Rollwende.
Nur ein Abstoßen mit den Händen. Dann zwei Brustzüge, bevor
er wieder zu den Kraularmzügen wechselt. Das war es. Das war
die Pause, die vorhin viel zu lang gewesen ist. Der Mann macht
keine Rollwende. Aber er stößt sich auch nicht mit den Beinen
ab, sondern mit den Händen. Und er braucht lange, bis er wieder
ruhig im Wasser liegt.
Die Beine. Meine Hand krallt sich in den rauen Putz an der
Wand neben mir. Mein Herz schlägt so laut, dass ich Angst
bekomme, es könnte mich verraten. Ich taste mich ein paar
Schritte vor, um besser sehen zu können. Was ist mit den Beinen?
Ich erblicke wieder die Arme. Sehe die Rückenmuskeln
arbeiten. Die Beine sehe ich nicht. Da wo er mit ihnen schlägt,
müsste sich das Wasser bewegen. Nicht hochspritzen, das nicht,
der Mann schwimmt langsam. Ruhig und gleichmäßig. Aber
er schwimmt. Und seine Beine bewegen sich nicht. Alles, was
ich erkennen kann, ist ein langer heller Streifen, der im Wasser
liegt. Wie ein Fischschwanz, denke ich. Aber selbst ein Fischschwanz
würde sich bewegen. Der Streifen bewegt sich nicht.
Er liegt vollkommen ruhig, es sind nur die Arme, die ihn durchs
Wasser ziehen.
Ich verstehe nicht viel vom Schwimmen, überhaupt gehört Sport
eher nicht zu meinem Leben.
Im gleichen Moment sehe ich auf der anderen Seite des Beckens,
dort wo die Leiter ist, den Rollstuhl stehen.
Bernges.
Ich habe keine Ahnung, wie er in das Becken gekommen ist.
Noch viel weniger kann ich mir vorstellen, wie er dort wieder
herauskommen will. Aber eins steht fest: Bernges kann
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