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Wie ein Flügelschlag

Wie ein Flügelschlag

Titel: Wie ein Flügelschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Wilke
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drängeln
sich zwölf Jugendliche. Vier junge Männer in Badehosen
auf jeder Stufe. Um ihre Hälse baumeln Medaillen. Die auf der
obersten Stufe stemmen einen Pokal in die Luft und recken die
Arme in die Höhe. Es ist die Aufnahme einer Siegerehrung. Vermutlich
ein Staffellauf, deshalb das Gedränge auf dem Siegertreppchen.
    Eins weiß ich ganz genau. Dieses Bild hängt nicht in der Heldengalerie
unserer Schule. Es wäre mir aufgefallen. Dort hängen
nur Porträts oder gestellte Gruppenaufnahmen einzelner
Mannschaften. Jubelnde Sieger und vor allem Fotos fremder
Teams habe ich dort nicht gesehen.
    Ich schaue mich im Café um. Ob Melanie hier eins der alten
Bilder abfotografiert hat? Vom Motiv her könnte es passen. Aber
warum hätte sie das tun sollen?
    Diese Frage stelle ich auch Mika.
    »Deswegen sind wir hier. Um das herauszufinden. Ich habe
versucht, das Foto auf dem Handy heranzuzoomen, aber die
Qualität ist so schlecht, dass man dann gar nichts mehr erkennen
kann. Wir brauchen das Original.«
    Er nimmt mir das Handy aus der Hand und steht auf.
    Wir fangen an der Wand neben den Garderoben an. Aber
schon dort hängen so viele alte Aufnahmen, dass ich kaum eine
Chance sehe, unser Bild darunter zu finden. Wenn es überhaupt
in diesem Café hängt, was wir ja gar nicht wissen.
    Nach einer Weile trennen wir uns und knöpfen uns jeder eine
eigene Wand vor. So früh am Tag ist es im
Zeitlos
noch leer, sodass
sich niemand über unser merkwürdiges Verhalten wundert.
Die Fotos hängen dicht an dicht. Ab und zu glaube ich, ich hätte
das richtige gefunden, aber jedes Mal stimmt ein Detail nicht.
Mal tragen die Sportler keine Badehosen, sondern Trainingsanzüge,
mal recken die Sieger keinen Pokal in die Höhe, die Frisuren
stimmen nicht oder der Hintergrund ist ein anderer.
    Die ersten Gäste betreten das Café und ich fluche innerlich.
Wir sehen nicht nur lächerlich aus, wie wir da mit einem Mobiltelefon
in der Hand die Wände absuchen, wir sind auch viel zu
auffällig. Und auffallen ist das, was wir um jeden Preis vermeiden
müssen.
    »Ich hab's!«
    Mikas Ruf lässt mich zusammenzucken. Ich drehe mich zu
ihm um. Er kniet auf einer Bank und nimmt vorsichtig ein Bild
ab, das dahinter auf Kopfhöhe angebracht ist. Zwei Mädchen,
die an einem der Nachbartische sitzen, beobachten uns argwöhnisch.
    Mika hält das Foto eng an seinen Bauch gepresst und bringt
es zu unserem Tisch.
    Gespannt beugen wir die Köpfe über das Bild. Das Handy
legt Mika eingeschaltet daneben.
    Es ist tatsächlich das gleiche Foto. Die gleichen Jungen, der
gleiche Pokal, den sie strahlend in die Höhe recken. Ein fröhliches
Bild. Aber eben eins wie Hunderte andere auch.
    »Warum hat Mel ausgerechnet dieses Bild abfotografiert?«
Fast bin ich ein wenig enttäuscht, dass das alles ist, was Mika
gefunden hat. Ich bezweifle, dass uns das einen Schritt weiterbringt.
    »Ich kann dir sagen, warum. Das heißt, ich sehe zumindest
einen Grund, warum sie es getan haben könnte.« Mika legt seinen
Zeigefinger auf das Bild unterhalb der Vierergruppe in der
Mitte.
    Ich beuge mich noch mal über das Foto. Ganz dicht bin ich
jetzt mit meinem Mund über Mikas Hand. Fast kann ich die feinen
Härchen auf seinem Handrücken mit den Lippen berühren.
Für einen kurzen Moment wünsche ich mir, ich könnte diese
Hand jetzt genau an dieser Stelle küssen.
    Reiß dich zusammen, Jana
. Schnell folgt mein Blick seinem
Finger und dann sehe auch ich es. Oben auf dem Siegertreppchen,
der Junge, der den Pokal zusammen mit einem Partner
in die Höhe stemmt, ist niemand anders als Doktor Klaus Wieland,
Melanies und Mikas Vater.
    Ich erkenne ihn sofort, habe ihn ja auch auf dem Foto im
Schulflur erkannt. Sein Gesicht und seine Frisur haben sich
trotz der Jahre kaum verändert.
    »Euer Vater«, stelle ich ernüchtert fest. Melanie hat eine alte
Aufnahme von ihrem Vater entdeckt und dann abfotografiert.
Daran kann ich nicht unbedingt etwas Außergewöhnliches erkennen.
    Mika scheint das Gleiche zu denken. Er beugt sich wieder
über das Bild.
    »Unser Haus hängt voll mit Fotos dieser Art. Es ist immer das
Gleiche. Mein Vater auf dem Siegertreppchen, manchmal mit
anderen, meistens allein. Es muss einen anderen Grund gegeben
haben, warum Mel diese Aufnahme gemacht hat.«
    Ich kneife die Augen zusammen, um besser sehen zu können.
»Man müsste es vergrößern«, sage ich, auch wenn ich keine Ahnung
habe, was ich dann zu finden hoffe.
    Mika nickt. »Das könnte man. Zum Beispiel, wenn

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