Wie ein Flügelschlag
Scheibe, kann mich mit den Händen abfangen. Erst
jetzt sehe ich, dass da drin jemand kniet. Keine Ahnung, was er
da macht. Es stimmt nicht. So stimmt es nicht. Mir bricht der
Schweiß aus. In den Scheiben spiegeln sich die Scheinwerfer
der vorbeifahrenden Autos. Hell, dunkel, hell, dunkel, hell, dunkel.
Die Eissplitter. Sie sind wieder da. Ich stütze mich an der
Scheibe ab, will weg hier, mich losreißen, aber meine Hände
sind wie festgeklebt. Unter mir öffnet sich der Boden. Auf einmal
höre ich die Stimmen von Nora und Jonas.
Du hast sie umgebracht.
Wegen dir. Nur wegen dir
. Ich starre wieder auf die Puppe.
Wie sie dasteht. So blond, so stolz, so schön.
Es ist nur eine Puppe
.
Es ist nur eine Puppe.
Es ist nur eine Puppe
, wiederhole ich mein
Mantra.
Der Typ am Boden bewegt sich, greift nach irgendwas, mit
der Schulter streift er die Beine der Puppe. Plötzlich fängt sie an
zu wanken, kippt zur Seite. Er springt auf, fängt sie ganz knapp
und legt sie behutsam auf den Boden. Ich schreie. Der Typ im
Schaufenster dreht sich um, grinst, zuckt bedauernd mit den
Schultern. Dann greift er neben sich in den Werkzeugkasten,
holt irgendwas raus, fummelt an ihrem Rücken herum und stellt
die Puppe wieder auf. Er wendet sich mir noch mal zu, reckt den
Daumen in die Höhe. Ich stoße mich von der Scheibe ab, irgendwie
schaffe ich es und dann will ich nur noch weg hier.
Als ich endlich stehen bleibe, habe ich keine Ahnung, wo ich
bin. Irgendwo neben einem Park, den ich nicht kenne. Es hat angefangen
zu regnen. So ein leichter feiner Nieselregen, der dich
in dem Glauben wiegt, eigentlich gar kein Regen zu sein. Und
dann bist du sofort nass und durchgefroren. Aber immerhin ist
es Regen, registriere ich. Kein Schnee mehr. Mein Handy vibriert
wieder in meiner Jackentasche. Mika. Ich mache ein paar
Schritte zur Seite, drücke mich an die Parkmauer, um wenigstens
ein bisschen Schutz vor der Feuchtigkeit zu haben. Diesmal
nehme ich ab.
»Jana, wo steckst du? Wir müssen uns treffen. Dringend.«
Ich schüttele den Kopf.
»Jana?«
»Es geht nicht.« Meine Stimme ist nur ein Flüstern.
»Ist was passiert?« Er klingt besorgt.
Hatte ich mir das nicht gerade erst gewünscht? Dass sich einer
Sorgen macht um mich?
»Nein. Nein, es ist nichts passiert. Nur, es geht nicht. Ich kann
nicht mehr. Ich kann das nicht. Ach, verdammt.« Ich presse das
Handy an mein Ohr, als wäre es eine Hand, an die ich mich
schmiegen kann.
»Jana, hör zu. Ich habe was gefunden, das musst du dir ansehen.
« Mika klingt aufgeregt.
»Gefunden? Was denn?«
»Nicht hier am Telefon. Ich muss dir das zeigen. Können wir
uns treffen? Morgen vielleicht? Meine Eltern sind den ganzen
Tag nicht da, ich hätte Zeit. Geht es morgen?«
Ich will Mika nicht treffen. Ich will ihn nicht sehen. Und ich
will auch nicht wissen, was er gefunden hat. Ich will, dass es einfach
aufhört. Dass es einfach verschwindet. Mein Blick fällt auf
den nassen Asphalt. So wie der Schnee verschwunden ist.
»Okay. Treffen wir uns wieder im Park?«, lenke ich schnell
ein, bevor Mika noch etwas sagen kann. »Um elf Uhr?«
»Elf Uhr, ja, das passt. Aber ich würde dich gerne woanders
treffen. Im
Zeitlos.«
Im
Zeitlos?
Für einen Moment halte ich die Luft an. Das letzte
Mal war ich mit Melanie und Tom dort. Weiß Mika das? Ich
schlucke.
»Jana?«
»Gut, einverstanden. Ich komme ins
Zeitlos
. Ach, Mika?«
»Ja?« Sein Ja klingt atemlos. Irgendwie erwartungsvoll. So, als
ob er auf ein Geschenk hofft. Ich bin nicht gut im Geschenkemachen.
»Ach, nichts. Bis morgen.«
Ich lege auf. Und stelle mir vor, dass er jetzt enttäuscht ist.
Am Ende der Parkmauer sehe ich eine Bushaltestelle. Ich
weiß nicht, welche Linie das ist und wie oft ich umsteigen muss.
Aber ich fasse einen Entschluss. Ein Blick auf mein Handy zeigt
mir, dass es noch nicht zu spät ist. Ich werde Kuchen kaufen.
Und nach Hause fahren. Wir werden Kaffee trinken und Kuchen
essen. Meine Mutter und ich, so wie wir früher manchmal
am Nachmittag Kaffee und Kuchen hatten. Oder Kekse. Und
vielleicht kann es sogar ein bisschen schön sein.
Als ich in die Wohnung komme, höre ich meine Mutter schon
im Flur fluchen. Sie steht in der Küche und rührt umständlich in
einer Schüssel. Ihre Haare hat sie mit einem Tuch aus dem Gesicht
gebunden, Schweißperlen glänzen auf ihrer Stirn, auf der
Arbeitsplatte liegt Mehl verstreut.
»Was machst du da?«
Sie antwortet, ohne sich umzudrehen.
»Ich versuche, eine gute Mutter zu
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