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Wie ein Flügelschlag

Wie ein Flügelschlag

Titel: Wie ein Flügelschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Wilke
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sich so an, als ob es doch auch in diesem Jahr wieder
Frühling werden könnte.

    Hinter mir verrät ein Klappern, dass jemand aufgeschlossen hat.
Ich rappele mich hoch und betrete das Café.
    Ein junger Mann hält mir die Tür auf.
    »Guten Morgen. Bist du aus dem Bett gefallen?« Er lächelt.
Ich starre ihn an. Sehe seine braunen gewellten Haare, sein grün
kariertes Flanellhemd. Und dann sehe ich das rote Auto und
den Arm, den er um Melanie gelegt hatte. Ich blinzele das Bild
weg. Was macht der hier im Café? Und was hatte er mit Mel zu
tun?
    »Hey, ich bin Steven!« Er hält mir die Hand hin. Ich ignoriere
sie und schiebe mich an ihm vorbei.
    »Alles okay mit dir?« Er mustert mich besorgt. »Du siehst
aus, als hättest du einen Geist gesehen.«
    Der Typ ahnt nicht, wie dicht er an der Wahrheit ist. Und ich
habe auch keine Lust, ihn darüber aufzuklären.
    »Ja, es geht schon. Sorry. Bin wohl nur zu schnell aufgestanden.
«
    In meinem Kopf überschlagen sich die Gedanken.
    Obwohl außer mir noch kein Mensch hier ist, gehe ich schnell
zu dem Tisch hinter den Garderobenhaken. Es gibt so viel schönere
Plätze im Café. Tische am Fenster, von denen aus man über
die Straße bis zur Schule schauen kann, Tische in gemütlichen
Nischen, mit kleinen Sofas oder Sesseln zum Hineinkuscheln.
Aber nur der Tisch hier hinter der Garderobe fühlt sich sicher
an. Am liebsten möchte ich mich unter der Tischplatte verkriechen,
bevor die Erinnerungen mich einholen können.
    Die Bedienung läuft geschäftig durch das Café und schließt
die Fenster, die sie wohl zum Lüften geöffnet hatte. Sie verteilt
kleine Blumentöpfe mit Primeln auf den Tischen.
    Frühlingsblumen. Gewächshausblumen, schießt es mir durch
den Kopf. Sie sind nicht echt. Sie geben vor, Frühlingsblumen
zu sein, aber sie sind es nicht. Ich möchte ihr zurufen, dass es
noch zu früh ist, das Eis ist noch nicht geschmolzen, die Blumen
werden erfrieren.
    Da betritt Mika das Café.
    An seinem Gesicht sehe ich, dass er genauso wenig geschlafen
hat wie ich.
    Ich stehe auf, er hat mich sofort erblickt. Hat mich gar nicht
woanders gesucht als an diesem Tisch.
    »Jana.«
    »Mika.« Ich flüstere seinen Namen.
    »Danke, dass du gekommen bist.« Er setzt sich an den Tisch,
und ich stehe da und versuche, die Enttäuschung runterzuschlucken
über diesen geschäftsmäßigen Ton.
    Als auch ich mich wieder hinsetze, zieht er etwas aus seiner
Jackentasche.
    »Ich muss dir was zeigen. Ich habe etwas gefunden.«
    Ich auch, will ich sagen, aber dann fällt mein Blick auf den
Gegenstand, den er in der Hand hält.
    »Was ist das?« Eigentlich sehe ich genau, dass es ein Handy
ist, aber im gleichen Augenblick wird mir klar, dass es mehr ist
als das.
    »Es gehörte Mel«, sagt Mika. »Ich hatte gehofft, etwas darauf
zu finden. Die SMS, die sie dir am Sonntagabend geschrieben
hat. Vielleicht auch weitere Nachrichten. Oder etwas anderes.
Einen Anruf. Irgendetwas.«
    Die Verzweiflung in seiner Stimme verrät mir, dass seine
Suche erfolglos war.
    »Und?«
    Er schüttelt den Kopf. »Nichts. Keine SMS, keine Anrufe.
Der Mitteilungsordner war leer.«
    Mist.
    »Glaubst du, dass Mel den Ordner selbst gelöscht hat?«
    Mika zuckt mit den Schultern. »Keine Ahnung. Entweder
sie oder jemand, der nicht wollte, dass die Mitteilungen gelesen
werden.«
    »Schade, dass du nichts gefunden hast, aber ich weiß trotzdem
etwas Neues«, setze ich an.
    »Ich habe nicht gesagt, dass ich nichts gefunden habe. Ich
habe
etwas gefunden. Nur nicht das, wonach ich gesucht habe.«
    Mika greift nach dem Handy und schaltet es an. Ich spüre, wie
mein Herz schneller schlägt.
    »Sämtliche Mitteilungen und auch die Telefonprotokolle
sind tatsächlich gelöscht. Aber egal, ob Mel selbst oder jemand
anders das getan hat, etwas hat derjenige übersehen.«
    Er tippt auf das Handy ein, klickt sich durch ein Menü, dann
schiebt er es zu mir rüber. Ich nehme es auf und schaue auf das
Display.
    »Was ist das?« Fragend sehe ich Mika an.
    »Ein Foto. Die Fotos in der Galerie wurden nicht gelöscht.
Es sind einige, aber die meisten sind ganz normale Aufnahmen.
Schnappschüsse. Von einer Schulparty, von einem Schwimmwettkampf.
Nur das hier«, er zeigt auf das Display, »ist anders.«
    Ich nehme das Handy hoch und halte es mir dichter vor die
Nase. Und dann begreife ich es. Es ist ein altes Schwarz-Weiß-
Foto. In der Mitte des Bildes befindet sich ein Podest, wie es
für Siegerehrungen verwendet wird. Und auf dem Podest

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