Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition)

Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Hinnefeld
Vom Netzwerk:
Pferden durch ihre Eingeweide rennen. Aber keine Rennpferdfinger. Außer deren Beine schmerzten und kribbelten genauso wie ihre Finger.
    Sie beschloss, Maze schlafen zu lassen. Ein weiterer verpasster Gottesdienst konnte wohl kaum etwas ausmachen. Leise schloss sie die Tür und lief mit den anderen Studentinnen durch den Flur, alle für die Kirche gekleidet, alle schläfrig und still, und überlegte gedankenverloren, ob das tatsächlich Grasflecken gewesen sein konnten, die sie auf der Rückseite von Mazes achtlos über den Stuhl geworfenem Kleid gesehen hatte.
    Maze konnte es kaum erwarten, es Mary Elizabeth zu erzählen. Sie malte sich aus, wann und wie sie es sagen würde, sie probte. Ein Klopfen an der Tür des Übungszimmers im Musikgebäude vielleicht und dann: »Ich habe mich verliebt!«. Oder sie könnte ihr ein Sandwich bringen. Wann in Gottes Namen aß das Mädchen überhaupt? Es kam Maze so vor, als würde sie ihre Mitbewohnerin wenn überhaupt nur noch schlafend sehen. Und auch das tat Mary Elizabeth herzlich wenig. Wenn doch, dann war sie unruhig, wälzte sich hin und her, knirschte mit den Zähnen.
    Also ein Klopfen am Übungszimmer und ein Sandwich. Dann, beiläufig: »Weißt du noch, dass ich letzten Samstag allein zu diesem Tanz gegangen bin?« oder: »Kennst du diesen Harris Whitman, über den alle ständig reden? Tja, rat mal, wen er geküsst hat. Und, na ja, mit wem er noch mehr gemacht hat.«
    Aber sie konnte nicht. Sie konnte Mary Elizabeth nicht erzählen, was sie mit ihm getan hatte. Obwohl sie fast platzte vor Freude, wenn sie daran dachte, wie er sich angefühlt hatte, seine Haut, sein Mund. Er in ihr! Großer Gott! Was für ein Mysterium, was für ein absolutes Mysterium, und was für eine Überraschung. Es war ihr einfach unmöglich gewesen, nicht herauszufinden, wie es sein würde. »Wir sollten aufhören«, hatte er gesagt. »Ich begleite dich zurück.« »Nein!«, hatte sie zu rufen versucht, doch ihre Stimme hatte wie ein Schluchzen geklungen, als erstickte sie beinahe, und sie hatte ihn wieder an sich gezogen und noch einmal »Nein!« gesagt. »Bitte nicht.« Sie konnte nicht aufhören, konnte ihn nicht aufhören lassen, sie wollte, dass diese Nacht ewig dauerte, wollte seine Hände ewig auf sich spüren, hätte ihn mit Haut und Haar verschlungen, wenn sie gekonnt hätte.
    Sie lagen auf einem Hügel hinter der Turnhalle, oberhalb eines kleinen Wäldchens. Viel zu spät im Jahr für einen Herbstmond wie diesen, für die seltsam warme Luft. Wie im Spätsommer, aber es war schon fast Thanksgiving. Alles war so unwirklich. Wie ein Traum, und sie konnte nicht zulassen, dass er endete.
    Wieder küsste er sie, und sie zog ihn zu sich, auf sich, presste sich an ihn und spürte ihn dort, hart – es war so anders als bei Darrell, dem sie sich immer nur hatte entziehen wollen. Nun bog sie den Rücken durch und umklammerte ihn noch fester. Er küsste ihren Hals, er schob ihren Rock hoch und zog ihre Unterhose herunter und berührte sie dort, und es war quälend, wenn er das tat, aber noch quälender, wenn er aufhörte, und sie gestattete sich, zu stöhnen und seinen Namen mit einer Stimme zu rufen, die sie nicht erkannte.
    »Wo bist du denn hergekommen?«, fragte er keuchend.
    Aus einem Feenland, hätte sie sagen können. Ich weiß es nicht mehr, hätte sie sagen können, im Augenblick kann ich mich nicht erinnern. Was sie aber tatsächlich sagte, während er nach den Knöpfen an seiner Hose tastete, war: »Tief aus einem Tal in den Bergen.«
    Natürlich, das wusste sie, war es ausgeschlossen, Mary Elizabeth irgendetwas von alledem zu erzählen.
    Das Konzert war gut gewesen. War es gut gewesen? Alle sagten das. Alle machten hinterher freundliche Gesichter, tranken ihren Punsch und knabberten an Keksen und lächelten sie an – der Rektor und seine Frau, drei Vorstandsmitglieder und ihre Gattinnen. Ihr Vater stand in einer Ecke und strahlte, ein Auge immer auf ihrer Mutter, die sich irgendwie zusammenriss, wie auch immer. Aber nicht lächelte. Maze war auch da, mit jemandem, den sie nicht kannte – groß, bärtig. Wer war das? Mr Roth schwebte durch den Raum, ebenfalls strahlend, machte Leute miteinander bekannt, zeigte unentwegt auf sie, lächelte ihr zu, nickte. Sagte etwas über sie, was sie nicht verstehen konnte, aus irgendeinem Grund nicht hören konnte.
    Sie konnte überhaupt nicht hören, was gesagt wurde. Sprachen sie mit ihr oder über sie? Da waren Geräusche, gedämpfte Geräusche,

Weitere Kostenlose Bücher