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Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition)

Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Hinnefeld
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ihren Fragen zu entkommen, ihren Theorien. Froh, einfach nicht mehr darüber nachzudenken.
    Mary Elizabeth wollte nicht mitkommen, weil sie, wie sie sagte, zwar die alten Kirchenlieder mochte, aber nicht viel für Hillbilly-Musik übrig hatte – diesen Begriff schien hier jeder für die Musik zu benutzen, die Maze als Kind lieben gelernt hatte. Mit zu Mazes frühesten Erinnerungen gehörte, dass Vista Lieder wie Cripple Creek und Single Girl, Married Girl auf einem alten Kurbelgrammophon in der Hütte ihrer Grandma Marthie abspielte.
    Von den anderen Mädchen auf ihrem Flur würde sie bestimmt keines fragen, deshalb ging Maze zu ihrem ersten Squaredanceabend der Berea Country Dancers in der Collegeturnhalle ganz allein, am Samstagabend vor Thanksgiving. Es lag nicht nur an der Musik, das wusste sie. Seit dem Tag, an dem Mary Elizabeth über ihre Mama gesprochen hatte, wirkte sie so abwesend. Sie behauptete, einfach zu beschäftigt zu sein, denn sie brauche jede Minute, die sie nicht lernte oder arbeitete, zum Üben, um sich auf ihr Vorspiel in wenigen Wochen vorzubereiten. Doch Maze hatte das Gefühl, dass Mary Elizabeth ihr auswich, und sie empfand das als schmerzlich. Und das machte sie unruhig.
    Selbst Weben half nicht. Sie war zappelig, begierig darauf, dass etwas passierte, da die Kälte und Nässe des Spätherbstes sie ins Haus zwangen. Sie hatte Plakate für die samstäglichen Tanzabende gesehen und sehnte sich danach hinzugehen, traute sich aber ohne Partner nicht. Zu Hause, bei den Tanzabenden außerhalb von Harrodsburg, auf denen sie gewesen war, brauchte man einen Partner, und sie ging immer mit ihrem Gelegenheitsfreund Darrell hin. Seit sie in Berea lebte, waren das die einzigen Momente, in denen sie Darrell wirklich vermisste: an Samstagabenden, wenn sie Lust zum Tanzen hatte.
    Schließlich beschloss Maze, an jenem ungewöhnlich warmen Novemberabend einfach allein zur Turnhalle zu laufen. Und so lernte sie Harris Whitman kennen.
    Zuerst beobachtete sie ihn eine Weile beim Tanzen. Sie sah ihn nicht zum ersten Mal. Er war groß und dünn, mit dunklen lockigen Haaren und einem ordentlich gestutzten Bart. Er wohnte in der Stadt, und Ferne und Dare und ein paar andere Mädchen von Mazes und Mary Elizabeths Flur, die ihn gutaussehend und geheimnisvoll fanden, hatten Erkundigungen über ihn eingezogen. Er war kein Student in Berea, war es aber ein oder zwei Jahre vorher gewesen. Er war in der Stadt geblieben und verkaufte die Möbel, die er baute, in einigen örtlichen Geschäften. Außerdem war er ein Aufrührer, hatte der Eigentümer eines der Geschäfte Ferne erzählt. Ließ sich mit Gewerkschaften und dergleichen ein, ereiferte sich über die Staatspolitik. Weil er so gut aussah, erhöhte diese Art von Aktivität seinen Reiz nur noch. Wäre er ein anderer Mann gewesen, unscheinbarer oder gar völlig normal, hätten ihn solche Interessen in den Augen dieser Studentinnen zum Paria gemacht, das wusste Maze.
    Er sei nicht verheiratet, berichteten sie, gehe aber von Zeit zu Zeit mit Miss Perrin aus, der neuen Kunstlehrerin von Berea, die aus Pennsylvania stamme und, behaupteten die jungen Frauen, auf jeden anderen in der Stadt herabsehe. Außer auf Harris Whitman, wie es den Anschein hatte.
    Maze fand das Interesse der anderen an ihm lächerlich, und das sagte sie ihnen auch. Er sehe gut aus, das stimme schon, aber sie wüssten absolut nichts von Bedeutung über ihn, erklärte sie, womit sie die Einschätzung der anderen hinsichtlich ihrer eigenen Merkwürdigkeit noch einmal bestätigte, mit ihrem komischen Namen und ihren wilden goldenen Haaren, die sie partout nicht glätten oder toupieren wollte. Ganz zu schweigen davon, dass sie ihre gesamte Zeit entweder beim Arbeiten oder mit ihrer Zimmergenossin, dieser Farbigen, verbrachte.
    »Tja, M. E., du hast Recht, ich bin wirklich merkwürdig«, sagte Maze oft, wenn sie beide an einem Grüppchen blonder Berea-Studentinnen vorbeigingen und sie kichern hörten. Irgendwann hatte Maze aufgehört, sich darum zu kümmern, dass diese jungen Frauen so empfanden. Inzwischen wusste sie, dass Mary Elizabeth sie gar nicht so seltsam fand. Oder vielleicht tat sie es immer noch, aber das war egal. Wenn Maze sie an den Abend erinnerte, an dem sie sie als »merkwürdig« bezeichnet hatte, lachte Mary Elizabeth nur, verdrehte die Augen und nickte bei der Erinnerung an ihre erste Reaktion auf Maze.
    Harry Whitman hatte Maze nicht interessiert, bis zu jenem Abend, als sie zu den

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