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Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition)

Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Hinnefeld
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die zu ihr durchdrangen, aber seit sie nach dem Schlussakkord die Hände hochgehoben hatte, konnte sie nichts mehr hören. Sie hatte nicht mit den Ohren oder dem Kopf gespielt, sondern mit dem Körper, wie Tante Paulie es sie gelehrt hatte. Die Chopin-Etüde war wie die Images mittlerweile eine physische Erinnerung für sie. Mensch und Instrument zusammen, eins. Jetzt war sie erschöpft. Das musste es sein. Sie glaubte, gut gespielt zu haben. Alle lächelten und sagten das.
    Dann sah ihr Vater sie quer durch den Raum an, und sie wusste, es wurde Zeit, mit ihm und ihrer Mutter zum Auto zu gehen. Sie verabschiedete sich von Mr Roth. »Üben Sie, üben Sie! Und frohe Weihnachten!« Sie nickte. Sie hatte es von seinen Lippen abgelesen. Ihre Tasche war bereits gepackt und lag im Kofferraum des Wagens.
    Dann, als sie zum Parkplatz liefen, eine Stimme hinter ihr, eine, die sie hörte dieses Mal. Maze rief nach ihr.
    »M. E.!«
    Sie drehte sich um. Maze kam eilig auf sie zu, während ihr Vater ihre Mutter rasch ins Auto schob, die Tür schloss, hastig zur Fahrertür ging und sie öffnete. Maze hatte immer noch den großen Mann dabei. Er lief schnell, um mit ihr Schritt zu halten.
    »Mary Elizabeth, Reverend Cox«, sagte Maze. Ihre Augen funkelten. Sie war außer Atem. »Das hier ist Harris Whitman. Ich wollte ihn euch vorstellen.«
    Er streckte die Hand aus. Mary Elizabeth konnte ihren Vater neben sich sehen. Er schloss langsam die Fahrertür, nickte nervös, lächelte. »Angenehm«, sagte er und schüttelte dem Mann die Hand, dann blickte er seine Tochter an.
    Als Nächste schüttelte sie Harris Whitman die Hand. »Freut mich«, sagte sie. Wer bist du?, dachte sie.
    »Das war wunderschön«, sagte er. Immer noch hielt er ihre Hand fest.
    Ihr Vater räusperte sich. »Wir sollten uns auf den Weg machen, Mary Elizabeth. Deine Mutter ist müde.«
    Die Luft wurde wieder zäh, alle Stimmen waren eigenartig gedämpft, die Baumwolle zurück in Mary Elizabeths Ohren. Sie zog ihre Hand zurück und öffnete die hintere Wagentür.
    »Ich hatte noch gar keine Gelegenheit, deine Mama zu begrüßen«, sagte Maze, als Mary Elizabeth einstieg. »M. E.?« Sie steckte den Kopf durchs Fenster. »Könnte ich nur schnell …«
    Da schob Mary Elizabeth Maze sanft aus dem Auto. Schnell, so dass es hoffentlich niemand gesehen hatte, dachte sie. Hoffte sie. »Jetzt nicht, Maze.« Sie versuchte zu lächeln, als wäre es ein Witz. Aber das Lächeln schmerzte, stellte sie fest. Sie hatte das Lächeln so satt. »Ich ruf dich bald an, Maze. Wir müssen jetzt los.«
    Der Motor des alten Ford dröhnte, als ihr Daddy ihn startete, und Mary Elizabeth kurbelte ihr Fenster hinunter. Maze sah sie mit gerunzelter Stirn an, das Funkeln war aus ihren Augen verschwunden. Mary Elizabeth winkte, bemühte sich, es locker und lustig zu machen, es wiedergutzumachen. Ich muss los! Vielleicht ein anderes Konzert! Mein Publikum erwartet mich! Aber sie sagte nichts davon.
    »Entschuldige, Maze«, sagte sie winkend, als ihr Vater den Gang einlegte.
    Maze griff nach ihrer Hand. »Ich hab mir überlegt, ich könnte dich in den Ferien besuchen kommen«, rief sie durchs Fenster, um den Motorenlärm zu übertönen. Sie wandte sich dem Fahrersitz zu. »Reverend Cox, Mrs Cox, hätten Sie was dagegen?«
    Mary Elizabeth beobachtete ihren Vater, der sich zu Maze umdrehte und verkrampft lächelte. Er leckte sich über die Lippen und hustete, dann winkte er, als hätte er sie nicht gehört. Seine Frau war tief in ihren Sitz gerutscht, hatte sich irgendwie unfassbar klein gemacht. War sie überhaupt da?, fragte sich Mary Elizabeth.
    Sie mussten losfahren, das wusste sie, also kurbelte sie langsam das Fenster hoch. »Ich ruf dich an, Maze, ja?«, sagte sie noch einmal. »Nach Weihnachten. Versprochen.«
    »Aber Mary Elizabeth, du weißt doch, wir haben …« Mehr hörte sie nicht mehr, ehe das Fenster vollständig geschlossen war und ihr Vater losfuhr.
    Kein Telefon. Sie haben kein Telefon, fiel Mary Elizabeth in dem Moment wieder ein. Aber sie konnte sich nicht einmal überwinden, sich umzudrehen und noch ein letztes Mal aus dem Rückfenster zu winken.
    Weil es auf dem Beifahrersitz schon begonnen hatte. Ah fort. Ess, siss. Ah fort, oh .
    Mary Elizabeth wünschte sich einen ausgiebigen, starken Regen, um das Geräusch zu übertönen. Wünschte sich die Baumwolle in die Ohren zurück. Starr blickte sie auf ihre Finger, während ihr Daddy den Arm nach der Hand ihrer Mama ausstreckte, um

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