Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition)
immer noch so leise wie ein Flüstern, aber seltsam sicher. »Wenn Ihnen das bequem genug wäre«, ergänzte sie an Maze gewandt.
Maze lächelte. »So habe ich einen Großteil meines Lebens geschlafen, Ma’am.« Ihr Lächeln erstarb, als sie Mary Elizabeth ansah. »Aber ich kann Harry auch anrufen und bitten, mich abzuholen, M. E., wenn du nicht möchtest, dass ich bleibe.«
Nun sahen beide Frauen Mary Elizabeth an. »Na ja, gut«, sagte sie, immer noch verunsichert und etwas ängstlich, aber auch ein bisschen freudig erregt bei der Vorstellung, Maze über Nacht bei sich zu Hause zu haben.
Maze betrachtete ihre Hose. »Aber ich habe das Kleid für den Tanz bei Harris Whitman im Auto gelassen. Ich hab gar keine anständigen Sachen für die Kirche dabei.«
Du hast überhaupt keine anständigen Sachen, dachte Mary Elizabeth, als sie an Mazes eines gutes Kleid dachte, das sie sicher beim Tanz tragen wollte und dessen Schnitt und Stil gut zwanzig Jahre vorher modern gewesen waren. Und da nahm der Abend eine noch merkwürdigere Wendung.
»Sie müssten ungefähr die Größe meiner Tante Paulie haben«, sagte Sarah Cox. »Wir könnten ihre Truhe vom Dachboden holen und nachsehen, ob eines der Kleider, die sie aus Frankreich mitgebracht hat, Ihnen passen würde.«
Also schleppten sie an jenem Abend nach dem Essen mit Hilfe des Reverend die Truhe nach unten. Danach verließ er das Haus, um in die Kirche zu gehen und noch etwas an seiner Predigt zu arbeiten, wie er sagte, doch Mary Elizabeth vermutete andere Gründe, als sie ihn am Essenstisch nervös lächeln sah, während sein kleines Haus immer weiter schrumpfte, da der Großteil der Luft von dieser großen, lauten jungen Frau beansprucht wurde, die plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht war.
Mary Elizabeth konnte sich das Lachen nicht verkneifen, als Maze eine von Tante Paulies knielangen Spitzenunterhosen über ihre Wollhose zog und geziert vom Küchentisch ins Wohnzimmer und zurück trippelte. An dem Abend holten sie alles aus der Truhe heraus – noch mehr Unterhosen und Unterröcke mit Spitzensaum, Perlenketten, eine gepresste Gardenie und mehrere Kleider aus einer Seide, die so alt und weich war, dass sie sich anfühlte, als würde sie zwischen den Fingern zerfallen.
»Probieren Sie das mal«, sagte Sarah und reichte Maze ein schimmerndes schwarzes Kleid mit Strasssteinen am Ausschnitt und einer tiefen Taille.
Es passte ihr perfekt. Als sie damit in die Küche zurückkam, sah sie strahlend aus. Und beinahe verlegen – so hatte Mary Elizabeth Maze noch nie gesehen.
»Das sollten Sie morgen zu Ihrem Tanz tragen«, sagte Sarah Cox, doch Maze wehrte ab. »Oh nein, Ma’am, das kann ich nicht machen.«
»Warum nicht? Mary Elizabeth oder mir wird es niemals passen.«
Maze lachte. »Tja, das stimmt wohl.« Es war nicht zu bestreiten, dass sie mindestens zwei oder drei Kleidergrößen größer als Sarah und Mary Elizabeth war. Wie Tante Paulie.
»Aber nur, wenn wir auch noch eins für Mary Elizabeth finden«, sagte Maze mit einem Seitenblick auf ihre Freundin.
Doch Mary Elizabeth hielt die Hände hoch und schüttelte den Kopf. »Nein, nein. Kein Kleid für mich. Ich gehe morgen nicht tanzen.« Sie hatte nicht die Absicht, Maze und ihren neuen Kavalier zu begleiten. Obwohl sie sich insgeheim danach sehnte, ein solches Kleid auf ihrer Haut zu spüren, es beim Gehen über die Beine streichen zu fühlen.
Später, nachdem Sarah und George Cox ins Bett gegangen waren, zog Maze eine kleine Flasche Whiskey aus ihrer Tasche. »Den hat Harris mir gegeben, damit du und ich um Mitternacht anstoßen können«, sagte sie. Kichernd wie kleine Kinder gossen sie sich Coca-Cola zum Mischen in zwei Gläser, zogen ihre Jacken an und setzten sich auf die Veranda.
»Warum verbringst du Silvester nicht mit ihm?«, fragte Mary Elizabeth, während sie in winzigen Schlucken tranken und langsam auf der Hollywoodschaukel schwangen.
Maze sah Mary Elizabeth von der Seite an, dann strich sie ihrer Freundin die Haare aus dem Gesicht, wie sie es gern tat. »Ich habe Mama und Schwester Georgia versprochen, dass ich hier bei dir übernachte, nicht bei Harris. Und außerdem wollte ich dich sehen, M. E. In den letzten Semesterwochen konnte ich gar nicht mehr mit dir sprechen, und dann nicht mal nach dem Konzert. Dabei hab ich dir so viel zu erzählen! Ich muss es unbedingt loswerden, und Mama oder Schwester Georgia konnte ich es ja schlecht sagen.«
Sie holte die Whiskeyflasche unter der
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