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Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition)

Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Hinnefeld
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zusätzlich noch ein voll möbliertes Zimmer für sich und Maze zur Verfügung stellten.
    Pleasant Hill war mehr als nur ein hübsches Fleckchen. Es war inzwischen eine richtige Ortschaft, angelegt als ordentliches, quadratisches Gitternetz mit einer Tankstelle im alten Diakonhaus und einem Gemischtwarenladen in der alten Besenwerkstatt. Alle Gebäude, die meisten davon über achtzig Jahre alt, waren von den Shakern, diesen tief religiösen Menschen, errichtet worden, und die Einheimischen hatten sich daher angewöhnt, den Ort Shakertown zu nennen. Zwar befanden sich einige Bauten – das Gemeindehaus, das alte Verwaltungshaus, die Schwesternwerkstatt und das Shaker Inn – immer noch in gutem Zustand, aber nicht ganz Shakertown sah so schön aus. Das Land war zu weiten Teilen von Unkraut überwuchert, und manche der Gebäude erinnerten Vista mit ihren zerbrochenen Fenstern, verrottenden Rahmen und absinkenden Fundamenten an Torchlight.
    Es sei nur noch eine echte Anhängerin der Shaker übrig, erzählte Nora – eine alte Frau namens Schwester Georgia. »Vollkommen verrückt«, sagte Nora. »Sie feiert immer noch die Shaker-Gottesdienste, mit Tanz und allem Drum und Dran, ganz allein, und sie spricht mit den Geistern der Verstorbenen, oder zumindest erzählt man sich das. Aber sie ist harmlos. Wir bekommen sie nicht oft zu sehen, um ehrlich zu sein.«
    Diese verfallenden Gebäude und Geschichten über Geister schreckten Vista an jenem ersten Nachmittag zunächst etwas ab, doch dann stieg Nora mit ihr die Hintertreppe des Gasthofs hinauf, der im alten Wohnhaus der Ost-Familie untergebracht war, wie sie es nannte, als sie vor der Tür ankam und auf eine besondere Regenrinne deutete, die von den Shakern erfunden worden war. Und dann zeigte sie ihr das Zimmer, das sie und Maze sich teilen würden.
    Es gab zwei Betten, jedes mit einer eigenen, handbestickten Überdecke und einem Federbett. Zwei Kommoden, einen Schreibtisch, einen großen alten Schrank und ein Bücherregal. Mit Büchern. Und es blieb immer noch Platz für einen hübschen orientalischen Läufer, wie die in der Lobby des Beau Rive Hotel, bemerkte Vista und holte tief Luft. Sie trat ans Fenster und zog die Spitzengardine zur Seite. Draußen spielte und rannte Maze mit zwei anderen Kindern, die, sagte Nora, einem Paar am Ende der Straße gehörten.
    »Hier sind jede Menge Kinder unterwegs«, sagte sie. »Ich schätze mal, Russell und ich sind die Einzigen in der Gegend hier, die wie Shaker leben!« Daraufhin lachte sie schrill, und Vista beschloss, nicht weiter danach zu fragen.
    Erneut wandte sie sich dem Fenster zu und beobachtete Maze. Sie sah aus, wie ein Kind aussehen sollte, dachte Vista – wild und frei und fröhlich. Gerade jagte sie einem Huhn hinterher, während sie zuvor immer nur durch die Hotellobby wanderte, vorbei an lauter Gegenständen, die sie nicht berühren durfte. Zum Ende der Woche packten Vista und Maze ihre wenigen Habseligkeiten und zogen vom Beau Rive Hotel in ihr neues Zimmer im Shaker Inn.
    »Ich hoffe, du weißt, was du tust«, waren Shade Nixons Abschiedsworte an sie. Doch beseelt vom Glanz ihres plötzlichen Glücks umarmte sie ihn nur, dankte ihm für seine Hilfe und weigerte sich einfach, sich über seine schlechte Laune zu ärgern.
    Der Glanz verblasste mit der Zeit, wenn es auch etwas dauerte, hauptsächlich, weil sie während der Feiertage so viel zu tun hatte. Die Zimmer und der Esstisch waren immer voll besetzt – mehr mit Freunden und Angehörigen von Nora und Russell als mit zahlenden Gästen, kam es Vista vor. Doch Nora liebte das Gewimmel und das rege Treiben, und wenn Nora glücklich war, erkannte Vista bald, dann war es auch Russell.
    So sah also altes Geld aus Louisville aus. Soweit Vista es beurteilen konnte, hieß das, viel zu trinken und sich von vorne bis hinten bedienen zu lassen. Außerdem, ungeniert die Nase in ihre Küche zu stecken und um einen weiteren Gefallen zu bitten oder einen weiteren guten Ratschlag für die Zubereitung des Truthahns zu geben, den Cape, der Gehilfe, am Morgen geschlachtet und gerupft hatte.
    Denn es war schnell zu Vistas Küche geworden. Die Sache mit der Hilfsköchin war nur ein Trick gewesen, um sie herzuholen, wie sie schnell begriff, denn es gab keine andere Köchin. Besser gesagt war die »andere Köchin«, eine Frau namens Dot, schon so gut wie weg – die letzte in einer Reihe von kurzzeitigen Angestellten, wie Vista an ihrem ersten Tag in der Küche des Shaker Inn von Dot

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