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Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition)

Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Hinnefeld
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Stück frischem Löffelbrot zurück – ein Friedensangebot –, aber Shade war nicht in seinem Büro. Stattdessen traf sie dort auf eine hübsche, braunhaarige Frau, ungefähr in ihrem Alter oder auch ein paar Jahre älter. Sie trug ein rosa Seidenkleid und saß auf dem Stuhl neben Shades Schreibtisch. Auf dem Schoß hatte sie Maze. Die Frau las ihr eines der Bücher laut vor, und Vista stand mit ihrem Löffelbrot in der Hand mehrere Seiten lang in der Tür, bevor eine der beiden sie bemerkte.
    Die braunhaarige Frau war ein Gast – ein häufiger Mittagsgast anscheinend, obwohl Vista sie in den drei Monaten, die sie im Hotel arbeitete, noch nie gesehen hatte. Sie stellte sich als Nora Soundso vor, »Taylor«, glaubte Vista gehört zu haben, und noch irgendetwas in die Mitte gequetscht, wie es die Leute in der Gegend von Lexington offenbar gern mit ihrem Namen machten.
    Sie sprach davon, selbst ein Gasthaus in der Nähe zu besitzen, etwas von »Shakern«, glaubte Vista verstanden zu haben, und das Einzige, was ihr, vielleicht wegen der ganzen mittlerweile in der Küche verbrachten Zeit, dazu einfiel, waren Milchshakes. Außerdem war sie von ihrer Tochter abgelenkt, die jetzt neben der Frau stand. Nora Taylor war aufgestanden, um Vista die Hand zu schütteln, und Maze starrte unverwandt den langen, glatten Rock ihres Kleides an. Zu Vistas Verwunderung, und auch zu ihrem Entsetzen, sah es so aus, als wollte Maze jeden Moment die Hand ausstrecken und den Stoff streicheln.
    Man konnte es ihr wirklich nicht verdenken – Vista hätte ihn selbst gern angefasst. Noch nie hatte sie ein so weiches und feines Kleid gesehen, oder auch ein so blasses und schimmerndes Rosa. Sie nahm Maze auf den Arm.
    »Ist dieser kleine Engel Ihre Tochter?«, fragte die Frau, und noch ehe Vista antworten konnte, zwitscherte sie: »Aber natürlich! Sieh sich das einer an – man erkennt gleich, woher sie ihre Löckchen und diese bezaubernden Sommersprossen hat.« Sie wickelte ihre Finger in zwei von Mazes Locken.
    Später, als sie Shade Nixon nach Nora fragte, erfuhr Vista, dass die Frau mit ihrem Mann einen kleinen Gasthof in Pleasant Hill führte, acht Kilometer außerhalb von Harrodsburg. Sie nannten es Shaker Inn, weil es in einem der ältesten Wohnhäuser dieser seltsamen religiösen Gruppe untergebracht war, die früher in Pleasant Hill lebten. Selma, die mit Vista in der Küche arbeitete, erzählte ihr mehr. Angeblich tanzten sie in der Kirche, sagte sie, und so seien sie zu ihrem Namen gekommen.
    »Komischer Haufen, ich glaube, inzwischen sind alle weggestorben. Hübsches Fleckchen aber«, sagte Selma. »Du solltest mal mit Maze hinfahren und es dir ansehen.«
    Shade, loyal wie immer gegenüber seinen Arbeitgebern, äußerte sich abschätziger. Er schnaubte, als er ihr vom Shaker Inn erzählte. »Das hält sich niemals«, sagte er. »Für die beiden, Russell und Nora, ist das doch nur ein Hobby.« Er beugte sich zu Vista vor und flüsterte ihr ins Ohr: »Altes Geld aus der Gegend von Louisville.« Bevor er ging, verdrehte er die Augen und zwinkerte ihr zu, doch hinter Shades Selbstgefälligkeit hinsichtlich des Reichtums anderer Menschen erkannte Vista seine Sehnsucht danach.
    Sie vergaß das Shaker Inn rasch wieder. Eine Woche nach ihrer Begegnung mit Nora Taylor aber richtete eine der Kellnerinnen ihr aus, eine Dame wolle sie im Speisesaal sprechen. Als sie nachsehen ging, um wen es sich handelte, während sie sich noch im Gehen die Hände an einem fleckigen alten Geschirrtuch abtrocknete, fand sie den Raum völlig leer bis auf ein junges Paar. Es waren Nora Bates Taylor und ihr Mann.
    »Russell, hol doch mal einen Stuhl für Mrs Jansen«, sagte sie zu dem großen Mann im Anzug, der eine kleine runde Brille trug und nicht lächelte. Vista bedankte sich bei ihm, setzte sich und versteckte dabei das Geschirrtuch unter dem Oberschenkel.
    »Damit Sie nicht glauben, wir machen etwas hinter anderer Leute Rücken, sage ich Ihnen gleich, dass wir bereits mit Ihrem Chef hier gesprochen haben. Wir haben Ihnen einen geschäftlichen Vorschlag zu machen«, begann Nora Taylor.
    Fünfzehn Minuten später hatte Vista eingewilligt, noch am gleichen Nachmittag mit den beiden zurückzufahren, um sich das Shaker Inn und das Gelände von Pleasant Hill anzusehen. Was sie ihr angeboten hatten, war eine Stelle als Hilfsköchin in ihrem Gasthof, wofür sie ihr beinahe das Doppelte von dem zu zahlen bereit waren, was Vista im Beau Rive Hotel verdiente, und ihr

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