Wie ein Fremder in der Nacht: Roman (German Edition)
auch einfach daran, dass der teure Sekt ihr sehr gut schmeckte –, sie trank das ganze Glas aus, als wäre es Wasser, und hatte das zweite schon halb geleert, das Nora ihr sofort eingoss, bevor ihr einfiel zu fragen, was eigentlich gefeiert wurde.
»Russell hat eine neue Stelle!«, jauchzte Nora, schnappte sich die Flasche und schob Vista und Russell Richtung Salon.
»Ich wusste gar nicht, dass Sie gesucht …«, setzte Vista an, konnte aber nicht mehr sagen, da Nora sie in eine schwitzige Umarmung gezogen hatte und mit ihr zu dem Bing-Crosby-Lied durchs Zimmer tanzte, das Russell auf dem Plattenspieler aufgelegt hatte.
Und mittlerweile war Vista ebenfalls aufgedreht und taumelig und lachte, während Nora sie im Kreis herumdrehte, und sie nahm an, sie müsste sich geirrt haben, als sie glaubte, Russell etwas von einer »Bank in Philadelphia« sagen zu hören.
Vista goss sich noch ein drittes Glas ein, als Nora auf das Sofa sank und mit schwerer Zunge etwas Träumerisches über ein Haus in Chestnut Hill erzählte. Sie trank es so schnell wie die ersten beiden, dieses Mal, um eine nagende Furcht zu ertränken, die langsam in ihren benebelten Kopf kroch.
Und dann, so plötzlich die Feier begonnen hatte, schien sie vorbei zu sein. Nora schlief tief und fest auf dem Sofa und schnarchte leise, und die längst zu Ende gespielte Platte drehte sich kratzend und knisternd weiter, während Russell daneben mit immer noch demselben eigenartigen Ausdruck auf dem Gesicht nun unverkennbar Vista anstarrte. Sie stand stocksteif auf der anderen Seite des Raums, das halbvolle Glas in der Hand und plötzlich so benommen und desorientiert wie ein Tier in einer Falle.
Einen Moment lang starrte sie zurück, und ein Schauer – ein nicht gänzlich unangenehmer – kroch ihr den verschwitzten Rücken hinauf. Und dann, weil sie nicht wusste, was sie sonst tun oder sagen sollte, stellte sie ihr Glas ab und ging an die Arbeit. Zuerst hob sie Noras Füße auf das Sofa und ordnete die Kissen um sie herum bequemer an, wie sie es schon unzählige Male am Nachmittag getan hatte. Danach trug sie die Kelche und die fast leere Flasche in die Küche, angestrengt bemüht, unter Russells unerbittlichem Blick nicht zu stolpern oder taumeln. In der Küche spülte sie die Gläser, warf die Flaschen weg, wischte die klebrigen Pfützen vom Fußboden auf. Hinterher trank sie ein großes Glas kaltes Wasser – was sie vorher hätte tun sollen, mahnte eine innere Stimme, während eine andere sie überraschenderweise dafür schalt, den Rest des köstlichen, prickelnden Sekts in den Ausguss geschüttet zu haben. Dann ging sie wieder hinaus, um ihre Arbeit im Garten fortzusetzen.
Sie hatte ein Viertel des Beets gejätet, als sie ihn kommen hörte. Er stolperte noch stärker als sie vorher, nachdem sie ihn im Salon stehen gelassen hatte. Es war das Stolpern, was sie verwunderte, nicht dass er ihr gefolgt war. Damit hatte sie aus unerfindlichem Grund gerechnet.
Es war noch heißer geworden, sie hatte einen trockenen Mund, und ihr war leicht übel. Sie richtete sich auf, streckte ihre müden Beine aus und strich die nassen Locken aus dem Nacken hoch, und dabei spürte sie seine Hand dort, die ihren Hals zuerst sanft, doch dann mit mehr Druck umschloss. Sie drehte den Kopf und fühlte seinen Mund an ihrem Ohr, seinen heißen und vom Sekt süßen Atem.
»Wie lange ist es her, dass du mit einem Mann zusammen warst?«, flüsterte er ihr ins Ohr, ohne ihren Hals loszulassen. Gleichzeitig legte er die andere Hand um ihre Seite und ließ die Finger über ihre Brüste wandern. Langsam und träge leckte er über den Rand ihres Ohrs.
Einen Moment lang, nur einen Moment, vergaß sie, wer er war. Es war heiß, sie war erschöpft und immer noch schwindelig vom Sekt. Und es war tatsächlich furchtbar lange her, seit sie auf diese Art und Weise berührt worden war. Also schloss sie die Augen noch einen Augenblick länger und gestattete sich, unter der Berührung seiner Finger, seinem heißen Atem an ihrem Hals zuerst zu erschauern, dann weiche Knie zu bekommen. Doch schließlich entwand sie sich und blickte sich um, da sie Angst hatte, jemand könnte sie gesehen haben.
Da nahm er sie bei der Hand und zog sie hinter die alte Bruderwerkstatt, wo Nora ihre Gartengeräte aufbewahrte, und sie ließ zu, dass er sie mitten auf den Mund küsste und sich an ihr rieb. Durch ihr dünnes Baumwollkleid spürte sie den Druck seiner Erektion, und das Einzige, was sie rettete, was sie
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